Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Georg Lehner - Monika Lehner ihnen irgendwie verdächtig schienen“. Sie steckten jene Geschäfte in Brand, die ausländische Produkte führten. Beijing war in einen Zustand der Anarchie verfallen: „Am 16. Juni brannte auch das große, für den Kaiser reservirte Portal am Südthore der Mandschurenstadt nieder.“191 * Das tragische Schicksal der Expedition Seymour, die damit zusammenhängende Erstürmung der Forts von Dagu und der Ausbruch von Kämpfen in Tianjin veranlassten das Zongli Yamen, den in Beijing festsitzenden diplomatischen Vertretern der nunmehr zur militärischen Intervention rüstenden Mächte am 19. Juni eine von den Zeitgenossen als „Kriegserklärung“ aufgefasste Note zuzusenden, in der die Gesandten aufgefordert wurden, die Stadt binnen 24 Stunden zu verlassen. Mit diesem Schriftstück konfrontiert, konstatierten die Diplomaten, dass es „ein Ding der Unmöglichkeit“ sei, Beijing innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Etwa 200 Frauen und Kinder, sowie 3-4 000 chinesische Christen, „die man unmöglich dem Massacre preisgeben könnte“, veranlassten die Diplomaten, beim Zongli Yamen einen Aufschub der Frist zu beantragen. Rosthom berichtete, dass er am Abend des 19. Juni dem britischen Gesandten den Vorschlag gemacht habe, dem Zongli Yamen gegenüber in einer Kollektivnote zu behaupten, dass die Forderung der Admiräle ohne unser Wissen und ohne unsere Zustimmung gemacht worden sei, weil die Möglichkeit fehlte, mit denselben in Verbindung zu treten, daß wir aber die Zurücknahme dieser Forderung und selbst die Restitution der Forts, falls diese bereits genommen wären, befürworten wollten, wenn die chinesische Regierung uns mit den Admirälen in Verbindung setzen würde. 2 Dieser von Macdonald gutgeheißene Vorschlag Rosthoms stieß jedoch beim russischen Gesandten Giers auf offenen Widerspmch. Rosthom brachte für die von Giers auch begründete Ablehnung auch Verständnis auf, teilte das „negative Resultat“ dem britischen Gesandten mit, womit die Sache erledigt schien. Die Belagerung der Gesandtschaften Diplomatische Zwischenspiele im Verlauf der Belagerung der Gesandtschaften Als der k. u. k. Geschäftsträger am frühen Morgen des 20. Juni mit den übrigen diplomatischen Vertretern zusammentraf, erfuhr er, dass eine gemeinsame Note in dem von ihm angeregten Sinne an das Zongli Yamen abgeschickt worden war. Nun wurde die Frage aufgeworfen, ob man - obwohl noch ohne Antwort - den für 9 Uhr Vormittag angekündigten Besuch im Zongli Yamen angesichts der kritischen Lage abstatten sollte. Die Mehrheit der Diplomaten war der Ansicht, dass man in diesem Fall eine Abweisung am Eingang riskiere, oder im Gebäude selbst auf die Audienz zu warten hätte: Da erklärte der deutsche Gesandte, Freiherr von Ketteier, dass er auf jeden Fall in eigener Angelegenheit in’s Yamen gehen müsse, seinen Besuch bereits angemeldet hätte, und gelegentlich desselben gerne anfragen wollte, ob und wann die Prinzen und HHStA, P.A. XXIX/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 1 (II. Serie), Peking, 20.8.1900. HHStA, P.A. XXIX/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 1 (II. Serie), Peking, 20.8.1900. 76

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