Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Georg Lehner - Monika Lehner es war dies der erste Angriff der Yihetuan auf die Gesandtschaften und die Eröffnung der Feindseligkeiten.181 Gegen 19.45 Uhr drangen aus östlicher Richtung „größere Menschenmengen unter heftigem Geschrei“ durch die Chang’anjie gegen das Terrain der k. u. k. Gesandtschaft vor. Erst als sie bis auf 500 Schritt herangekommen waren, konnten die Posten die Yihetuan „an ihren in den Strahlen der untergehenden Sonne blinkenden Säbeln und Piken, sowie an den rothen Turbanen und Leibgürteln“ erkennen. Winterhaider gab Befehl, von der Nordostecke der Gesandtschaft das Feuer auf die Angreifer zu eröffnen. Dadurch konnten beabsichtigte Brandlegungen auf angrenzenden Grundstücken unterbunden werden. Gegen 20.45 Uhr kehrte in der Umgebung der k. u. k. Gesandtschaft wieder Ruhe ein.182 Nachdem die Kirche St. Joseph (Dongtang) von den Yihetuan in Brand gesteckt worden war, spitzte sich die Lage nach 23.00 Uhr neuerlich zu. Die Straße schien bald ein wogender Feuerfluss; da die Yihetuan noch ohne Feuerwaffen vorgingen, wurden sie von den österreichisch-ungarischen Posten bis auf fünfzig Meter herangelassen, ehe das Feuer eröffnet wurde. Eine herbeigeeilte französische Patrouille nahm daraufhin die Verfolgung der flüchtenden Yihetuan auf.183 Bereits durch die Ereignisse dieses Abends betrachtete es Rosthom als erwiesen, dass die Qing-Regierung mit den Yihetuan gemeinsame Sache machte: Wenn man gesehen hat, wie der Ansturm der fanatischen Schaaren am 13. und 14. Juni bei uns, wie sie bei der belgischen Gesandtschaft, durch einige Salven unserer hier nur 5 dort nur 8 Mann starken Posten zurückgeworfen wurde, so bedarf das Argument der Ohnmacht, die Auslegung, welche die Chinesen zweifellos noch oft werden geltend machen wollen, dass der Aufstand der Regierung über den Kopf gewachsen sei, keiner weiteren Widerlegung. Wenn den Insurgenten nur der zehnte Theil jener Truppen entgegengestellt worden wäre, welcher in einer späteren Periode gegen die eingeschlossenen Europäer aufgeboten wurde, so wäre in Peking kein fremdes Haus berührt, keinem fremden Christen ein Haar gekrümmt worden.184 In seinem nach dem Ende der Belagerung verfassten Bericht erörterte Rosthom auch die von ihm schon im April 1900 prophezeite Spaltung des Qing-Hofes, die Zum Vordringen der Yihetuan in die Chinesenstadt von Beijing vgl. neben Rosthoms Bericht auch die Darstellung von Winterhaider (1902), S. 197 f., Admiralstab, Wirren in China, S. 123 f., Robert Hart, The Peking Legations. A National Uprising and an international episode. In: Fortnightly Review, Shanghai 1900, S. 13; Darcy (1901), S. 805 f. Nach Liu Fenghan (1978), S. 621 hatten die Yihetuan schon am 12.6.1900 mit Brandlegungen in der Stadt begonnen. - Vgl. ferner die Darstellung bei Purcell (1963), S. 249, Li Dezheng, Ding Fenglin, Lun Yihetuan shiqi de weigong shiguan shijian [Über die Belagerung der Gesandtschaften zur Zeit der Yihetuan]. In: Yihetuan yundong shi lunwenji [Gesammelte Aufsätze zur Geschichte der Yihetuan-Bewegung], ed. Yihetuan yundong shi yanjiu hui [Kommission zur Erforschung der Geschichte der Yihetuan- Bewegung], Beijing 1984, S. 378. - Zu den Ereignissen des 13.6.1900 vgl. auch Liu Fenghan (1978), S. 622. 182 KA, MS/OK 1900-X-14/5, Nr. 2 803, LSL Theodor Ritter von Winterhaider, Taku, 11.10.1900. - Vgl. dazu Winterhaider (1902), S. 198. 183 KA, MS/OK 1900-X-14/5, Nr. 2 803, LSL Theodor Ritter von Winterhaider, Taku, 11.10.1900. - Vgl. dazu Winterhaider (1902), S. 199 f. 184 HHStA, P.A. XXIX/14, Rosthom an Gotuchowski, Bericht No. 1 (II. Serie), Peking, 20.8.1900. 74

Next

/
Thumbnails
Contents