Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die „Friedensverhandlungen“ zwischen China und den Mächten - Verlauf, Abschluss und Unmittelbare Folgen

Georg Lehner - Monika Lehner Einige Bemerkungen zu den Modalitäten der Verhandlungen mit China und zu den widersprüchlichen Interessen der „kooperierenden“ Mächte Schon in der Anfangsphase der Verhandlungen mit China standen Diskussionen um das Procedere stark im Zentram der Diskussion. Einen ersten Schwerpunkt der Diskussion bildete die Frage der Modalitäten: sollten identische Noten überreicht oder eine Kollektivnote übergeben werden? Dabei mussten die oft widersprüchlichen Interessen von elf Staaten zur Deckung gebracht werden, die in den unterschiedlichsten - mehr oder weniger stark ausgeprägten - Bündnissen miteinander und zum Teil gegeneinander verbündet 1917 waren. In London und Berlin bedauerte man, nicht auf identischen Noten bestanden zu haben,1917 1918 wobei die Skepsis in London offensichtlich war, in Berlin jedoch nur hinter vorgehaltener Hand geäußert wurde.'919 Lord Salisbury beobachtete das Vorgehen Deutschlands bezüglich der Sühneforderangen mit Skepsis; London befürchtete, Deutschland könnte eine Expedition in das Landesinnere1920 planen oder sogar die „temporäre Besitzergreifung eines chinesischen Ländergebietes beabsichtigen [...]“.1921 Obwohl die Vertreter Großbritanniens, Deutschlands und Russlands in den einzelnen europäischen Hauptstädten keine Gelegenheit ausließen, zu betonen, wie 1917 Großbritannien ging sogar so weit, darüber nachzudenken, auf welche Art und Weise man Spanien, Belgien und die Niederlande aus den Verhandlungen ausschließen könnte, da anderfalls Großbritannien und Deutschland nur auf die Stimmen Österreich-Ungams und Italiens mit Sicherheit rechnen und somit leicht überstimmt werden könnten [cf. HHStA, P.A. XXIX/23, fol. 1', Deym an Gotuchowski, Telegramm No. 1 (1 540, Chiffre), London 1.1.1901]. Während Großbritannien nach Wegen suchte, die Niederlande, Spanien und Belgien auszuschließen, meldete Portugal seinen Anspruch auf die Teilnahme an den Verhandlungen an. Der k. u. k. Vertreter in Lissabon, Graf Brandis, berichtete dazu: „Nachdem einige Staaten zweiter Ordnung wie Spanien, Dänemark und Holland durch Rußlands Vermittlung die Zulassung zu den Friedensverhandlungen in China erwirkt haben, hat sich Portugal vertraulich an England gewandt um durch dessen Vermittlung ebenfalls an den Verhandlungen theilnehmen zu können und sein Begehren mit dem Hinweis auf den Umstand begründet, daß es durch seine Besitzungen in Macau in nachbarlichen Beziehungen zu China stehe und dahe rein bedeutenderes Interesse als die oberwähnten Staaten an der künftigen Gestaltung der dortigen Verhältnisse besitze.“ (HHStA, P.A. XXIX/22, Brandis an Gotuchowski, Bericht No. 33 A-B, Lissabon, 27.11.1900). Die englische Regierung war dem nicht abgeneigt und Lord Lansdowne hatte mitteilen lassen, die englische Regierung werde „dessen Zulassung [gemeint ist die Portugals] durchzusetzen wissen.“ (Ebenda) Der General-Gouverneur von Macau, der mit der Vertretung Portugals in China betraut war, erhielt daraufhin die Weisung, sich umgehend nach Beijing zu begeben (Ebenda). 1918 HHStA, P.A. XXIX/23, fol. T, Deym an Gotuchowski, Telegramm No. 1 (1 540, Chiffre), London 1.1.1901. 1919 Ebenda, fol. 2r, Szôgyény an Gotuchowski, No. 1 B (Vertraulich), Berlin, 2.1.1901. 1920 Die militärischen Operationen beschränkten zum überwiegenden Teil auf die Provinz Zhili. 1921 HHStA, P.A. XXIX/23, fol. 2a [Im Original ohne Foliozählung], Szôgyény an Gotuchowski, No. 1 B (Vertraulich), Berlin, 2.1.1901. 498

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