Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Haltung der Mächte zu den Ereignissen in China im Spiegel der Berichte Österreichisch-Ungarischer Diplomaten

Die chinesische Gesandtschaft in London Der chinesische Gesandte in London, Luo Fenglu1007, wurde infolge der dominanten Rolle, die Großbritannien in der internationalen Politik gegenüber dem Qing-Reich behauptete, auch in der Berichterstattung der k. u. k. Botschaft in London wiederholt erwähnt. So telegraphierte Deym, dass Luo am 24. Juli Lord Salisbury gegenüber versichert habe, dass „alle Gesandten am Leben seien“; es war Luo allerdings nicht gelungen, seinen Gesprächspartner davon zu überzeugen.1008 Am 6. August übermittelte Luo dem Foreign Office eine Note des Zongli Yamen, wonach dieses mit den Gesandten in Beijing „freundschaftliche“ Kontakte unterhalten würde.1009 Luo Fenglu zeigte sich am 31. August im Foreign Office begeistert von den russischen und amerikanischen Absichten, die Truppen aus Beijing zurückzuziehen. Mensdorff berichtete, dass Luo Fenglu aus diesem Grund bereits mit „triumphirender“ Miene erschienen sei: Ich begegnete dem chinesischen Gesandten im Vorzimmer des Unterstaatssekretärs. Er erklärte mir, die Nachrichten wären viel besser und er hoffe auf eine baldige Pacificirung. Die Hauptschuld an all den jetzigen Wirren und Unruhen trügen die Missionäre und wenn man denselben weiter gestattet, in ihren bisherigen Weise fortzufahren, so könne man sich in ungefähr 20 Jahren auf eine neue Boxer Bewegung gefasst machen.1010 1011 Am 4. September schrieb Mensdorff wieder über die von Luo Fenglu entfaltete Aktivität: Der chinesische Gesandte ist in den letzten Tagen ein äusserst eifriger Besucher des Foreign Office gewesen, doch sind seine Bemühungen, von der englischen Regierung eine Erklärung über ihre Haltung zu erlangen, erfolglos geblieben. Einmal habe Luo Fenglu im Foreign Office sogar ein von Li Hongzhang erhaltenes Telegramm verlesen, in dem er - Luo - von Li einen „scharfen Verweis“ erhalten habe, weil es ihm noch nicht gelungen sei, eine definitive Entscheidung Salisburys, Li Hongzhang als Friedensunterhändler anzuerkennen, im Foreign Office zu erhalten. Li hätte Luo auf das „verdienstvolle“ Wirken von Yang Ru in St. Petersburg aufmerksam gemacht. Bertie erzählte Mensdorff auch Näheres über das Auftreten des chinesischen Gesandten, der „gleich einem bestraften Schuljungen ihn ängstlich um Rath frug, was er antworten solle“, um Li Hongzhang „zu besänftigen“.10" Wenig später ließ Li Hongzhang Luo Fenglu beim Foreign Die Haltung der Mächte zu den Ereignissen in China ... Luo Fenglu war zwischen 1896 und 1901 chinesischer Gesandter in London. Vgl. ZJC, S. 448 f. 1008 HHStA, P.A. XXIX/18, Deym an MdÄ, Telegramm No. 92 (No. 4 219, Chiffre), London, 24.7.1900. 1009 HHStA, P.A. XXIX/19, Mensdorff an MdÄ, Telegramm No. 99 (No. 7 814, Chiffre), London, 6.8.1900. 1010 Ebenda, Mensdorff an Gotuchowski, Bericht No. 56 F, London, 31.8.1900. 1011 HHStA, P.A. XXIX/20, Mensdorff an Gotuchowski, Bericht No. 58 A-D Vertraulich, London, 4.9.1900. 287

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