Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Haltung der Mächte zu den Ereignissen in China im Spiegel der Berichte Österreichisch-Ungarischer Diplomaten

Georg Lehner - Monika Lehner worden zu sein, mit den Mächten in Friedensverhandlungen einzutreten.999 Kinskÿ berichtete am 20. Oktober, dass sich Yang Ru zu seinem jährlichen Erholungs­urlaub auf die Krim begeben hatte.1000 Die chinesische Gesandtschaft in Berlin Durch die Ermordung des deutschen Gesandten in Beijing war die Gesandtschaft des Qing-Reiches in Berlin in eine schwierige diplomatische Position geraten. Szôgyény berichtete darüber bereits am 24. Juni nach Wien: Der Verkehr der chinesischen Gesandtschaft mit dem hiesigen Auswärtigen Amt, entspricht kaum den bestehenden völkerrechtlichen Grundsätzen, da es wohl außer Frage steht, dass nach der blutigen Rencontre in Taku eigentlich der Kriegszustand zwischen Deutschland und China besteht. Der Unterstaatssekretär hat dies dem chinesischen Gesandten auch gesagt; nachdem aber dieser mit seiner Regierung schon seit mehr als 14 Tagen sozusagen in keiner Verbindung steht, hat das hiesige Auswärtige Amt es vorläufig nicht für geboten erachtet, den Verkehr mit der chinesischen Gesandtschaft abzubrechen.100' Der chinesische Gesandte Lü Haihuan1002 übergab dem Auswärtigen Amt am 15. Juli in einer „Verbalnote“ ein nicht unterzeichnetes kaiserliches Edikt, „dessen Tendenz dahin geht, die Fremden in Peking für die jetzige Situation verantwortlich zu machen.“1003 Szôgyény telegraphierte am 21. Juli, dass es der chinesischen Gesandtschaft in Berlin nicht mehr gestattet werde, Chiffretelegramme abzusenden und dass auch „offene Telegramme“ vor der Absendung Bülow vorgelegt werden müssten.1004 Am 21. Juli übergab Lü Haihuan dem Auswärtigen Amt ein Telegramm des „Kaisers von China Kuang-Sü [Guangxu]“. Darin wurde „vor allem das Bedauern über die Ermordung des deutschen Gesandten“ zum Ausdruck gebracht.1005 Durch die Ernennung von Mumm und aufgrund des Umstandes, dass „der hiesige chinesische Gesandte nach wie vor im Verkehre mit dem Auswaertigen Amte steht“, schien es dem k. u. k. Geschäftsträger Duglas Graf Thum am 11. September unwahrscheinlich, dass der deutsche Kaiser an seiner „schroffen Auffassung“ der zu befolgenden Chinapolitik festhalten werde.1006 999 Ebenda, Aehrenthal an MdÄ, Telegramm No. 103 (No. 6 734, Chiffre), Petersburg, 18.9.1900. 1000 HHStA, P.A. X/l 14, Kinskÿ an Gotuchowski, Bericht No. 68 E, St. Petersburg, 20./7.10.1900. 1001 HHStA, P.A. XX1X/17, Szôgyény an Gotuchowski, Bericht No. 24 E, Berlin, 24.6.1900. 1002 Lü’s Tätigkeit in Berlin war von Anfang an von der aggressiven deutschen Chinapolitik überschattet. Vgl. dazu Siegfried Behrsing, Telegramme des chinesischen Gesandten in Berlin Lü Hai-huan an das Tsungli Yamen aus der Zeit der Kiautschou-Aggression des deutschen Imperialismus. In: Mitteilungen des Instituts für Orientforschung 9 (1963), S. 100-138. 1003 HHStA, P.A. XXIX/18, Szôgyény an MdÄ, Telegramm No. 124 (No. 1 526, Chiffre), Szôgyény an MdÄ, Berlin, 15.7.1900. 1004 Eb end a, Szôgyény an MdÄ, Telegramm No. 136 (No. 7 353, Chiffre), Berlin, 19.7.1900. 1005 Ebenda, Szôgyény an MdÄ, Telegramm No. 142 (No. 1 100, Chiffre), Berlin, 22.7.1900. loos j-[j_jstA, P.A. XXIX/20, Thum an Gotuchowski, Bericht No. 43 A-E Streng vertraulich, Berlin, 11.9.1900. 286

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