Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China

telegraphierte, dass ihn Li Hongzhang um die Vermittlung Kaiser Franz Josephs gebeten habe. Im Wissen um das enge Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn dachte Li Hongzhang, dass Kaiser Franz Joseph „den deutschen Kaiser zu einer schleunigen und nicht zu harten Lösung der Crisis, wenn möglich noch vor der Ankunft der deutschen Truppen hier“, bewegen würde, „was mit Rücksicht auf erfolgte Besetzung Peking’s jetzt wenig schwierig sei.“ Li hoffte, dass man in Österreich-Ungarn die schwierige Situation Chinas erwägen möge.541 Am späten Vormittag des 22. August ließ Kaiser Franz Joseph an Goluchowski telegraphieren, dass er mit der Li Hongzhang zu erteilenden abschlägigen Antwort einverstanden sei.542 Pisko teilte Li Hongzhang die negative Rückmeldung aus Wien umgehend mit. Der k. u. k. Konsul konstatierte, dass sich Li Hongzhang in einem „Zustande vollkommener Rathlosigkeit“ befunden habe, zumal die Gesandtschaften in Beijing über „erdrückendes Beweismaterial“ für die „Complicität“ des Qing-Hofes mit den Yihetuan verfügten.543 Wie Thum am 28. August schrieb, war die ablehnende Antwort der k. u. k. Regierang an Li Hongzhang von Wilhelm II. „mit lebhafter Freude und Dankbarkeit“ aufgenommen worden, da der deutsche Kaiser „unter keinen Umständen“ von Li Hongzhang „etwas wissen wolle.“ An der russischen Botschaft in Berlin wurde Thum mitgeteilt, dass man in St. Petersburg „keine besondere Freundschaft“ für Li Hongzhang hege, dass man aber bestrebt sei, „thunlichst bald wieder in normale Beziehungen zum gelben Nachbarn zu treten.“ Diese Verhandlungen müssten jedoch mit Li Hongzhang geführt werden, da sonst „Niemand anderer da“ sei.544 Am 6. September erschien Li Hongzhang im k. u. k. Generalkonsulat Shanghai. Er betonte gegenüber Pisko, dass die Entsendung von Kriegsschiffen und Truppen „überflüssig“ sei, nachdem die Krise ihr Ende erreicht habe. Im Gespräch mit Pisko wollte Li auch in Erfahrung bringen, ob sich der in Shanghai weilende deutsche Gesandte Mumm von Schwarzenstein Pisko gegenüber über die Absichten der deutschen Regierung geäußert hätte. Li bedauerte, dass die deutsche Regierung „mit aller Gewalt Feindseligkeiten gegen China unternehmen wolle.“ Im Laufe des Gespräches räumte Li jedoch ein, dass die Qing-Truppen sowohl an der Beschießung der Gesandtschaften als auch an anderen gewaltsamen Aktionen teilgenommen hätten.545 Österreich-Ungarn und der Beginn des internationalen Engagements ... 541 HHStA, P.A. XXIX/19, Pisko an MdÄ, Telegramm ohne No. (No. 6 266, Chiffre), Shanghai, 20.8.1900 (erliegt auch in HHStA, P.A. XXIX/14). - Zu diesem Vermittlungsangebot vgl. auch Schusta (1967), S. 77, You (1987) und Lehner (1995), S. 377 f. 542 HHStA, P.A. XXIX/14, Kaiser Franz Joseph an Goluchowski, Telegramm ohne No. (No. 9 100, Chiffre), Ischl, 22.8.1900. 543 Ebenda, Pisko an Goluchowski, Bericht No. 17 Res., Shanghai, 24.8.1900. 544 HHStA, P.A. XXIX/19, Thum an Goluchowski, Privatschreiben (Vertraulich), Berlin, 28.8.1900. 545 HHStA, P.A. XXIX/20, Pisko an Goluchowski, Bericht No. CIV Polit., Shanghai, 9.9.1900. 171

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