Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China

Unterredung, die er am 18. August mit Kaiser Wilhelm geführt hatte, sah Szôgyény das deutsche Urteil über die Rolle Österreich-Ungams in China vollkommen bestätigt. Über die Meinung des deutschen Kaisers schrieb der k. u. k. Botschafter: Er verstehe es vollkommen, dass wir, bei den geringen Interessen, welche Österreich- Ungarn in Ostasien hat, keine Landtruppen dahin entsenden und uns damit begnügen, durch eine Escadre an der Action der Mächte theilzunehmen. Szôgyény berichtete auch, dass Kaiser Wilhelm „immer die stille Hoffnung gehabt“ hätte, dass sich Erzherzog Carl Stephan529 um das Kommando über die k. u. k. Eskader für Ostasien bewerben werde, „nachdem Höchstderselbe gewiss in der glänzendsten Weise entsprochen hätte.“530 Durch die Bestätigung der Nachricht, dass die in Beijing Eingeschlossenen den Belagerern noch Widerstand leisten konnten, war die Lösung der Frage eines möglichen Vormarsches nach Beijing noch komplizierter geworden. Wie der k. u. k. Geschäftsträger in Berlin Duglas Graf Thum am 31. Juli an Gotuchowski schrieb, war eine „schleunige Hilfe“ dringend geboten, doch gerade durch eine Operation der kooperierenden Mächte könnten die Chinesen veranlasst werden, die Gesandtschaften in einem Sturmangriff zu nehmen. Vor diesem Hintergrund glaubte Thum nicht, dass die Einigkeit der Mächte in der Chinapolitik von langer Dauer sein werde. Auch über das Vorgehen nach dem etwaigen Ende der militärischen Operationen könnten Differenzen nur allzuleicht entstehen. Angesichts dieser Konstellation erblickte Thum in der geringen Beteiligung Österreich-Ungams an der Aktion der Mächte durchaus Positives: Von diesem Standpunkte, glaube ich, können wir ganz froh sein, dass wir keine direkten Interessen in China haben, was uns hoffentlich die Möglichkeit gewähren wird, im dem zu gewärtigenden Streite für keine Seite Parthei zu ergreifen.531 Am 19. Juli wurde Szécsen zu Kaiser Franz Joseph nach Ischl gemfen. Der Kaiser hatte sich entschlossen, auf Vorschlag Goluchowskis die beiden bereitgestellten Schiffe nach China zu entsenden. Szécsen erschien dieser Zeitpunkt „nicht ungeeignet“, nicht zuletzt in Hinblick auf die öffentliche Meinung. Über das weitere Vorgehen schrieb Szécsen: Ich will gleich hier bemerken, daß Seine Majestät großes Gewicht darauf zu legen schien, daß die Schiffe gleich abgehen. So mußte ich z. B. die Instruction für Montecuccoli, die Euer Excellenz mit heutiger Expedition zukommt, gleich in Ischl verfassen, abschreiben und Seiner Majestät noch Abends vorlegen, damit sie noch in der Nacht nach Wien expedirt werde, da die Schiffe am 21. abgehen sollten.532 Noch eine Woche danach hatte Szécsen keine Erklärung für die Eile des Kaisers: Warum S.M. ungeduldig war, weiß ich nicht, ich glaube die vielen Zeitungs-Stimmen die mit sehr schön klingenden Argumenten für eine active Theilnahme plaidirten dürften Österreich-Ungarn und der Beginn des internationalen Engagements ... 529 Erzherzog Carl Stephan, Ritter des Ordens vom Goldenen Vließ, hatte in der k. u. k. Kriegsmarine den Rang eines Konteradmirals inne und war Oberst-Inhaber des Infanterie-Regiments Nr. 8. 530 HHStA, P.A. IH/154, Briefe des k. u. k. Botschafters, Szôgyény an Gotuchowski, Berlin, 20.8.1900. 531 Ebenda, Briefe des k. u. k. Botschafters, Thum an Gotuchowski, Berlin, 31.7.1900. 532 HHStA, P.A. XXIX/18, Szécsen an Gotuchowski, Wien, 21.7.1900. 167

Next

/
Thumbnails
Contents