Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China
Georg Lehner - Monika Lehner Gotuchowski seit seinem Amtsantritt immer wieder vor den Delegationen aufgezeigt. So müsse man angesichts der nunmehrigen internationalen Intervention lebhaft bedauern, dass die Verhältnisse es unserer Monarchie nicht ermöglicht haben, bei der nothwendig werdenden Neuregelung der Dinge in China einen stärkeren und ihrer Großmachtstellung entsprechenderen Antheil zu nehmen. Der k. u. k. Botschafter in Berlin brachte in seinem Bericht an Goluchowski sein Bedauern zum Ausdruck, dass Österreich-Ungarn bis zum damaligen Zeitpunkt keinerlei ernsthafte weltpolitische Ambitionen verfolgt habe: Eine Weltpolitik in großem Style, so wie sie von England, Frankreich und Rußland seit jeher befolgt und nunmehr auch von Deutschland angebahnt wurde, entspricht bedauerlicher Weise keineswegs unseren eigenartigen Verhältnissen, und demzufolge müßte eine weitgehende Betheiligung an der internationalen militärischen Action in China, etwa in dem Maße, wie jene der obbenannten Mächte, für unsere Monarchie, als mit der Bedeutung unserer dortigen Interessen in keinem Verhältnisse stehend, schon von Vomeherein als ausgeschlossen betrachtet werden. Doch erheischt unsere Großmachtstellung — selbst wenn man von unseren leider unbedeutenden Handelsinteressen in Ostasien ganz absehen wollte - dennoch eine ostentative Stellungnahme bei der Regelung einer Frage, welche die ganze civilisirte Welt in so hohem Grade interessirt und welche auch auf die künftige Gruppirung der Mächte in Europa einen nicht unbedeutenden Einfluß ausüben muß. Die Entsendung des Rammkreuzers S.M.S. „Kaiserin und Königin Maria Theresia“, die Szôgyény zwar ausdrücklich begrüßte, hatte allerdings nichts am geringen Ausmaß der Beteiligung der Monarchie geändert, da auch die anderen Mächte weitere Maßnahmen zur Vermehrung ihrer Tmppen in Ostasien eingeleitet hatten. Für den Fall, dass sich die Nachricht von der „Niedermetzelung unserer Vertretung“ bestätigen würde, hielt es Szôgyény für angemessen, eine weitere Verstärkung der k. u. k. Streitkräfte in China - „eventuell auch mit einem Détachement Landtruppen“ - in Erwägung zu ziehen. Eine Entsendung von Landtruppen erschien Szôgyény in jedem Fall gerechtfertigt. Auch wenn diese Landtruppen „nur verspätet und auch nicht in ausschlaggebender Stärke“ auf dem Kriegsschauplatz eintreffen könnten, würden die österreichisch-ungarischen Truppen ihre Aufgabe „vollauf1 erfüllen, da es sich für uns, nach meiner ergebenen Ansicht, bei den ostasiatischen Verwicklungen in erster Linie darum handelt, der Welt zu demonstriren, dass bei allen großen Entscheidungen, bei welchen die Großmächte zu interveniren haben, auch mit Österreich-Ungarn und seiner achtunggebietenden Militärmacht unter allen Umständen gerechnet werden müsse.527 Zumindest in Berlin schien man jedoch mit der Form der Beteiligung Österreich- Ungams an der gemeinsamen Aktion in China durchaus zufrieden. Bülow fand es - laut Szôgyény - „vollkommen begreiflich“, dass sich die Elabsburgermonarchie in „viel geringerem Maße“ als die übrigen interessierten Mächte an der Aktion beteilige, und sprach die Hoffnung aus, dass Deutschland weiterhin auf die „moralische Unterstützung“ durch Österreich-Ungarn zählen könne.528 Nach einer HHStA, P.A. XXIX/18, Szôgyény an Gotuchowski, Bericht No. 29 B Streng vertraulich, Berlin, 14.7.1900. Ebenda, Bericht No. 32, Vertraulich, Berlin, 21.7.1900. 166