Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China
Der Vertreter Österreich-Ungams in Berlin war sich dessen bewusst, dass eine Entscheidung über die etwaige Verstärkung der militärischen Kräfte in China in engem Zusammenhang mit den inneren Verhältnissen der Monarchie zu sehen war. Wenn in dieser Frage eine Entscheidung fallen sollte, müsste sie rasch getroffen werden: Die Gründe hiefür brauche ich Dir wohl nicht des Näheren zu erklären; möchte mir aber erlauben, nur soviel zu erwähnen, dass wir, da wir darauf angewiesen sind, uns von einer groß angelegten Aktion in Ost-Asien fern zu halten, uns damit werden begnügen müssen, der Welt zu zeigen, dass Österreich-Ungarn bei einer Entscheidung, bei welcher es sich um die Interessen der ganzen civilisirten Welt handelt, nicht vollkommen abseits steht. Szôgyény warnte Goluchowski vor allzu langem Zaudern, wodurch man „in eine sehr unangenehme Lage“ kommen könnte.524 Am 9. Juli billigte Goluchowski Szécsens Ansichten über die von der Monarchie gegenüber den Ereignissen in China zu beobachtende Politik und die darauf aufbauende „Sprachregelung“ im Verkehr mit den in Wien akkreditierten Diplomaten. Im Sinne der Szécsen’schen Darlegungen vom 6. Juli meinte der Minister des Äußern: Da auch ich mit der Eventualität rechne, noch ein bis zwei Kriegsschiffe nach China zu senden, erstatte ich wegen rechtzeitiger Ausrüstung und Bereitstellung derselben mit dem heute von hier abgehenden Courier einen Immediatvortrag an Seine Apostolische Majestät und ersuche Euer Excellenz, die Kriegs- und Marine-Leitungen vorläufig entsprechend zu avisiren.525 Szécsen hielt es für ratsam, dass auch die k. u. k. Regierung von China eine Satisfaktion verlangen müsse, da die Mächte ohnehin „nur zu geneigt“ wären, Österreich-Ungarn „in der ganzen Sache zu ignoriren“. Den in Wien akkreditierten diplomatischen Vertretern gegenüber betonte er, dass man in den leitenden politischen Kreisen der Monarchie bereit sei, an der gemeinsamen Aktion der Mächte gegen China mitzuwirken, obwohl man im Vergleich mit den anderen Beteiligten „eigentlich gar keine“ direkten Interessen in China habe. Daher könne man auch keine materiellen Verluste geltend machen und habe gegenüber den parlamentarischen Vertretungskörpem der Monarchie keine Argumente, um unverhältnismäßig hohe Ausgaben zu rechtfertigen.526 Am 14. Juli erörterte Szôgyény neuerlich die Beteiligung Österreich-Ungams an der gemeinsamen Aktion der Mächte zur Unterdrückung der durch die Yihetuan- Bewegung in China ausgelösten Unruhen. Der k. u. k. Botschafter teilte vollkommen die Anschauungen Goluchowskis bezüglich der vor allem aus wirtschaftlichen Gründen gegebenen „Nothwendigkeit einer stärkeren Betheiligung unserer Politik bei allen großen Weltfragen“. Diese Notwendigkeit hatte Österreich-Ungarn und der Beginn des internationalen Engagements ... 524 Ebenda, Szôgyény an Gotuchowski, Privatschreiben, Berlin, 6.7.1900. 525 HHStA, P.A. XXIX/18, Gotuchowski an MdÄ (Szécsen), Telegramm No. 25 (No. 3 211, Chiffre), Paris, 9.7.1900. 526 HHStA, Nachlass Mérey, Kart. 16, Nr. 369, fol. 24v, Szécsen an Mérey, Wien, 12.7.1900. 165