Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China

Georg Lehner - Monika Lehner Szécsen und die Formulierung der österreichisch-ungarischen Position zu den Ereignissen in China Wohl im Verein mit Czikann, der sich bis Ende Juni in Wien aufhielt, waren im Ministerium des Äußern der Leiter des Referats III, Emst Ritter Schmit von Tavera517, sowie der Erste Sektionschef Nikolaus Graf Szécsen von Temerin518 mit der Formulierung der österreichischen Haltung zu den Ereignissen in China befasst. Der Minister des Äußern Agenor Graf Gotuchowski war - wie in den vorangegangenen Sommern auch - Ende Juni/Anfang Juli zu einem mehrwöchigen Erholungsurlaub nach Vittel aufgebrochen. Angesichts der Ereignisse in China hatte Goluchowski während seiner Reise nach Frankreich entgegen dem Usus die Führung der laufenden Geschäfte nicht an den Ersten Sektionschef übergeben - eine Regelung, die die Kommunikationskanäle des Ministeriums jedoch sehr belastete: Der Minister hat die Leitung des Ministeriums behalten, er kann jeden Augenblick in die Lage kommen mit Delcassé über die chinesischen Angelegenheiten zu reden oder eine direct an ihn gerichtete Anfrage eines unserer Botschafter zu beantworten, er muß daher au courant erhalten werden, zu seiner Information; mit Anfragen verschone ich ihn so wie so nach Thunlichkeit.519 Am 27. Juni 1900 führte der k. u. k. Botschafter beim Quirinal, Marius Freiherr Pasetti von Friedenburg mit dem italienischen Außenminister Emilio Visconti- Venosta ein ausführliches Gespräch über die durch den Aufstand in China entstandene internationale politische Situation. Im Laufe dieser Unterredung meinte Visconti-Venosta, dass es wünschenswert wäre, auch Österreich-Ungarn durch ein bewaffnetes Detachement im Kreise der in China eingreifenden Mächte vertreten zu sehen. Das Fehlen von speziellen Interessen dürfe auch Österreich-Ungarn nicht daran hindern, Truppen nach China zu entsenden; vereint könnten auch Österreich- Ungarn und Italien „sicherer auftreten und mitsprechen.“ Visconti-Venosta erklärte Emst Ritter Schmit von Tavera (1839-1904), 1896 in Disponibilität versetzt, wurde am 5.2.1899 zur Dienstleistung in das Ministerium des Äußern einberufen. Seit März 1899 war Schmit von Tavera mit der Leitung des Referats III (politische Korrespondenz betreffend England, alle amerikanischen und afrikanischen Staaten, Indien, China, Japan, Siam und Korea sowie Auswanderungsfragen prinzipieller Natur) betraut. Vgl. dazu Goluchowskis Kanzlei-Verordnung No. 11 877/2 vom 3.3.1899 (HHStA, A.R. 4/456). In der durch einen mehrmonatigen Urlaub Schmit von Taveras notwendig werdenden Einteilung der politischen Agenden wurden die Süd- und Ostasien betreffenden Agenden dem Referat I (Russland, Osmanisches Reich, Balkanstaaten) unter der Leitung des Freiherm von Zwiedinek zugeteilt. - Schmit von Tavera wurde mit Allerhöchster Entschließung vom 9.3.1901 in den dauernden Ruhestand versetzt (Vgl. dazu die Unterlagen im Personalakt Schmit von Tavera, HHStA, A.R. F 4/303). Nikolaus (Miklös) Szécsen von Temerin (1857-1926) stand vom 19.1.1880 bis zum 31.3.1916 in Diensten des MdÄ. Vgl. dazu HHStA, A R. F 4/339, Szécsen Nikolaus 1/39-ad 2: Dienstbeschreibung und Ruhegebühmachweisung sowie den Eintrag im Jahrbuch des k. und k. Auswärtigen Dienstes 21 (1917). HHStA, Nachlass Mérey, Kart. 16, Nr. 369, fol. 24, Szécsen an Mérey, Wien, 12.7.1900. Am 7.7.1900 ersuchte Gotuchowski um die Entsendung des fur Vittel bestimmten Chiffre-Beamten nach Paris (HHStA, P.A. IX/145, Gotuchowski an MdÄ, Telegramm No. 21 [No. 557, Chiffre], Paris,.7.1900). 162

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