Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China
Pasetti, dass er mit Gotuchowski „einen Gedankenaustausch über die in China einzuhaltende politische Linie“ pflegen wolle.520 Gofuchowski ließ seinem italienischen Kollegen unter Damm vom 7. Juli wissen, dass auch ihm eine „freundliche Fühlungnahme mit dem italienischen Cabinete in der uns alle berührenden chinesischen Frage erwünscht und nützlich“ erscheine - unter der Voraussetzung, dass man auch in Rom den Entsatz der Gesandtschaften, die „Aufrechterhaltung des dermaligen territorialen status quo“ und die Sicherstellung von Garantien gegen die zukünftige Wiederholung solcher Unruhen als wichtigstes Anliegen erachte. Die mangelhaften Informationen über die tatsächliche Lage in China hielt Gofuchowski für problematisch: In eine Erörterung der einzelnen zu diesem Zwecke zu ergreifenden Maßnahmen einzutreten erschiene mir heute, angesichts der Ungewißheit über das Schicksal unserer Gesandtschaften sowie mit Rücksicht auf die mangelnde genaue Orientirung über die locale Situation und deren voraussichtliche Entwicklung, verfrüht. Gofuchowski stellte auch klar, dass das „geringe Maß unserer eigenen Interessen in China uns bezüglich der Entfaltung von Machtmitteln nothwendigerweise eine gewisse Reserve“ auferlegen würde und die Entsendung von Landtruppen nicht ratsam erscheinen lasse. Abschließend wies Gofuchowski nochmals daraufhin, dass ihm ein enger Meinungsaustausch mit Rom „auch im späteren Verlaufe dieser Angelegenheit [...] willkommen sein“ würde.521 Wie Pasetti am 9. Juli berichtete, wäre Visconti-Venosta „glücklich gewesen“, wenn auch die k. u. k. Regierung den Beschluss gefasst hätte, „Landungstruppen“ nach China zu entsenden.522 Szécsen hatte in einem mit 6. Juli 1900 datierten Privatschreiben an Goluchowski zum einen die Situation der internationalen Diplomatie, zum anderen aber auch die Position, die die Monarchie den Vorfällen in China gegenüber einnehmen sollte, erläutert. Szécsen sprach unverhohlen von der zunehmenden „Confusion hinsichtlich der Lage in China und der zu ergreifenden Maßregeln“. Die Gerüchte über die Ermordung aller Fremden in Beijing erschienen ihm vor dem Hintergrund der internationalen Politik äußerst plausibel: Nur die Japaner hätten vielleicht die Unglücklichen retten können. Diejenigen, die aus missgünstigem Neid und politischer Hyperklugheit sie daran gehindert haben tragen die Verantwortung für die vielen Hunderten unschuldiger Opfer, werden aber wahrscheinlich nicht viel Gewissensbisse verspüren. Spätestens nach der Bestätigung dieser Gerüchte müssten sich die Mächte auf einen einheitlichen Aktionsplan einigen, wodurch „eine Art von Pause“ eintreten würde. Szécsen klagte Goluchowski gegenüber auch über die durch die Zuspitzung der Situation in China entstandene Mehrarbeit im Ministerium des Äußern: Ich werde natürlich von den Diplomaten vielfach überlaufen, halte an dem Standpunkte fest, dass wir in China keine directen Interessen haben und auch nicht die Österreich-Ungarn und der Beginn des internationalen Engagements ... 520 HHStA, P.A. XXIX/17, Pasetti an Gotuchowski, Bericht No. 34 A, Rom, 28.6.1900. 521 HHStA, P.A. XXIX/18, Gotuchowski an Pasetti, ad Bericht No. 34 A, Paris, 7.7.1900. 522 HHStA, P.A. XXIX/18, Pasetti an Gotuchowski, Bericht No. 37 B, Rom, 9.7.1900. 163