Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China
Czikann behauptete, China verlassen zu haben, „als es dort völlig ruhig war“ und wähnte sich in dem freilich irrigen Glauben, dass zunächst nicht die Europäer, sondern in erster Linie die chinesischen Christen bedroht wären. Doch Czikann war sich auch der Gefahr für die Europäer durchaus bewusst: Es kommt darauf an, daß die Europäer sich in diesem Augenblicke möglichst tactvoll benehmen, damit sie unversehrt bleiben. Allerdings kehrt sich die Bewegung der sogenannten Boxers gegen die Fremden. Diese Secte hat es verstanden, an die nationalen Instincte der Chinesen zu appelliren, indem sie die Gefahren fremder Einflüsse und fremder Herrschaft dem Volke zu Gemüthe führte. Es ist doch auch begreiflich, daß die Secte, indem sie sich fremdenfeindlich gibt, in den Augen der an dem Alten hängenden Chinesen als Vertreterin patriotischer Ideale erscheint. Der k. u. k. Gesandte vertrat zudem die Meinung, dass sich die Yihetuan kaum gegen die Qing-Dynastie wenden würden. Als Begründung präsentierte er den Umstand, dass eher im Süden als im Norden des Chinesischen Reiches antidynastische Strömungen zu Tage treten würden: Nun, etwaigen gegen die Mandschu-Dynastie gerichteten Tendenzen könnte man noch eher in Süd-China, sagen wir in Canton, begegnen als in Nord-China, wo die Leute kaum solchen Umsturz planen. Die Situation der Europäer in Beijing hielt Czikann noch um den 10. Juni für wenig bedroht. Er war der Meinung, dass die in die Hauptstadt entsandten Detachements für die Sicherheit der Europäer genügen würden. Die Europäer breiten sich nicht etwa über weite Theile der colossalen Stadt aus, sondern sind vielmehr auf ein Quartier concentrirt, und die Gesandtschaften selbst sind in der Europäerstadt [siel] ziemlich eng aneinander gerückt. So wird es nicht zu schwer sein, die Europäer zu beschützen. Czikann betonte wiederholt, dass er „nur mit größter Vorsicht über die Vorgänge in China sprechen“ könne: Die Mächte haben die Absicht, in Einigkeit vorzugehen, und dies wird den Gefahren Vorbeugen. Der Kaiserin wird übrigens das Erscheinen der europäischen Escadren in den chinesischen Gewässern imponiren.516 Österreich-Ungarn und der Beginn des internationalen Engagements ... „Der österreichisch-ungarische Gesandte in Peking über die Lage in China.“. In: NFP, Nr. 12 859 vom 12.6.1900, Morgenblatt, S. 2. 161