Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China
Georg Lehner - Monika Lehner Am 12. Juli 1900 wurde Vizekonsul Post von Li Hongzhang in Guangzhou „in der liebenswürdigsten Weise“ zu einem offiziellen Besuch empfangen. Li ließ „für die Beziehungen unserer Monarchie mit China das lebhafteste Interesse“ erkennen. Post erläuterte auf Li’s Anfrage Art und Umfang der österreichisch-ungarischen Schifffahrtsverbindungen mit China. Li bezeichnete den 1896 durch einen Badeunfall ertrunkenen Generalkonsul Joseph Haas als einen sehr tüchtigen Mann und erkundigte sich nach dem Aufenthaltsort des k. u. k. Gesandten. Post erläuterte, dass Czikann im April auf Urlaub nach Europa gegangen sei und voraussichtlich „anfangs nächsten Jahres“ wieder auf seinen Posten zurückkehren würde. Li bedauerte „lebhaft“, dass das schöne neue k. u. k. Gesandtschaftspalais in Beijing, „welches eine so grosse Summe Geldes gekostet hat“, zerstört worden war. Er teilte Post mit, dass die in Beijing eingeschlossenen Europäer noch am Leben wären. Posts Bedenken, dass die Eingeschlossenen dem Ansturm der Belagerer „in nächster Zeit“ erliegen könnten, versuchte Li zu zerstreuen, indem er darauf hinwies, dass die Macht der Yihetuan im Rückgänge begriffen sei und die Europäer mit Wasser und Lebensmittel versorgt würden. Li zeigte sich davon überzeugt, dass die Eingeschlossenen auch „am Leben erhalten bleiben“. Er ersuchte Post, dies der k. u. k. Regierung mitzutheilen. Der chinesische Dolmetsch, der das von Post auf Englisch geführte Gespräch erst ermöglichte, meinte, dass die Brunnen in den Gesandtschaften nur schlechtes Wasser enthielten und dass die Trinkwasserzufuhr aus den Xishan („Westbergen“) nunmehr unterbrochen sei.369 Post teilte Li auf dessen Fragen mit, dass Deutschland den Tod des Freiherm von Ketteier wohl durch die Bestrafung der für die Unruhen verantwortlichen chinesischen Würdenträger rächen wolle. Li bekräftigte, nach Beijing gehen zu wollen und glaubte allein durch seine Autorität die von den Yihetuan initiierten Unruhen unterdrücken zu können. Li wusste, dass sowohl die Kaiserin-Witwe als auch der Kaiser am Leben waren und Prinz Duan alle Regierungsgewalt an sich gerissen hatte. Um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen müsste Prinz Duan wieder von der Regierung entfernt werden. Li Hongzhang war zudem der Meinung, dass die notwendige Reform der Zentralregierung im Zuge der Beilegung der Krise erfolgen müsse. Danach berührte Post mit der Frage nach von chinesischer Seite zu leistender Entschädigungszahlungen ein heikles Thema. Li meinte, dass China nicht verpflichtet werden könne, für alle Schäden aufzukommen, da die Yihetuan- Bewegung lokal begrenzt gewesen sei. Falls es notwendig wäre, könnte auch Österreich-Ungarn China zur Sicherstellung der finanziellen Verpflichtungen eine Anleihe gewähren. Als Li meinte, dass China ein armes Land sei, erwiderte Post, dass China lediglich durch eine schlechte Verwaltung arm geworden sei - eine Ansicht, die Li Hongzhang natürlich nicht teilen konnte. Damit war die Unterredung zu Ende. Post, der den Inhalt dieser Unterredung auch dem Generalkonsulat Shanghai zur telegraphischen Weiterleitung nach Wien mitteilte370, HHStA, P.A. XXIX/18, Post an Gotuchowski, Bericht No. 14/Polit. Geg., Hongkong, 14.7.1900. Vgl. dazu ebenda, ZI. LXXIX Polit., Shanghai, 20.7.1900. 120