Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Mit Rücksicht auf die ausgezeichneten Dienste, welche dieses Freiwilligencorps bei dem Ausbruche von Unruhen in dieser Colonie hätte leisten können, und in Anbetracht des ohnedies starken Mangels an regulären Truppen begegnet diese Massregel des Gouverneurs sowohl unter der englischen als auch deutschen Bevölkerung, nicht minder in der Localpresse sehr abfälliger Beurtheilung.365 Die Nachricht von der Berufung Li Hongzhang’s nach Nordchina sorgte bei den im Süden des Reiches ansässigen Fremden für große Beunruhigung. Wiewohl Li Hongzhang damals der chinesische Staatsmann zu sein schien, der die „Krise im Norden China’s auf friedlichem Wege“ beenden konnte, so befürchtete man, dass sein Aufbruch von Guangzhou das Fanal für eine „Erhebung aller bis jetzt und mühsam durch seine Energie niedergehaltenen aufrührerischen Elemente in den Provinzen Süd- und Südwestchina’s sein wird“. In jenen Tagen wurde gemeldet, dass einige Geheimgesellschaften in der Nähe des Vertragshafens Wuzhou „eine Rebellion der Bevölkerung angezettelt haben.“ Aus diesen Gründen war die chinesische Kaufmannschaft von Guangzhou an Li Hongzhang herangetreten, um ihn zum Verbleiben im Süden zu bewegen. Wie Post am 22. Juni berichtete, wollte Li Hongzhang bereits am 27. Juni via Hongkong nach Shanghai abreisen. Zwei Kanonenboote waren zum Schutz der Fremdenniederlassung Shamian nach Guangzhou abgegangen.366 * In Anbetracht der durch die Krise äußerst schwierig gewordenen Reise verschob Li Hongzhang seinen Aufbruch aus Guangzhou: In Wirklichkeit nämlich vermag der greise, chinesische Staatsmann derzeit nur unter dem Schutze der internationalen Streitkräfte nach Peking zu gelangen, was ihm begreiflicherweise nicht sehr angenehm ist. Post berichtete am 27. Juni auch, dass Li während der vier Monate seiner Amtszeit in Guangzhou „allein gegen 2 000 Rebellen, Piraten und Räuber“ öffentlich hatte hinrichten lassen.361 Die pessimistische Einschätzung der Lage der in Beijing Eingeschlossenen, welche Anfang Juli vor allem in den aus Shanghai kommenden Nachrichten zum Ausdruck gekommen war, wurde auch von den ausländischen Beobachtern in Südchina geteilt. Einzig positiv schien für Post, dass „eine Fortpflanzung der gegen alle Fremden in China gerichteten Feindseligkeiten auf den Süden dieses Reiches vorläufig nicht stattzufinden scheint.“ Diese Tatsache brachte Post mit der nicht erfolgten Abreise Li’s in Verbindung. Li Hongzhang hatte vor allem um Guangzhou mehrere tausend Soldaten zusammengezogen, die sich zu seiner Verfügung halten sollten.368 Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China 365 HHStA, P.A. XXIX/18, Post an Gotuchowski, Bericht No. 13/Polit. Geg., Hongkong, 5.7.1900. 366 HHStA, P.A. XXIX/17, Post an Gotuchowski, Bericht No. 10/Polit. Geg., Hongkong, 22.6.1900. Zur Verstärkung der maritimen Präsenz vor Guangzhou vgl. HHStA, P.A. XXIX/18, Bericht No. 13/Polit. Geg., Hongkong, 5.7.1900. - Zur Situation in der Provinz Guangdong während des Jahres 1900 vgl. Chan Lau Kit-Ching, Kwangtung during China’s Boxer Crisis of 1900. ln: Papers on Far Eastern History 20 (1979), S. 105-135. 361 HHStA, P.A. XXIX/17, Post an Gotuchowski, Bericht No. 11/Polit. Geg., Hongkong, 27.6.1900. 368 HHStA, P.A. XXIX/18, Post an Gotuchowski, Bericht No. 13/Polit. Geg., Hongkong, 5.7.1900. 119

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