Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China
Georg Lehner - Monika Lehner Die Ereignisse in China hatten „an bedenklichem Charakter“ zugenommen. Nach der Erstürmung der Dagu-Forts durch Detachements der kooperierenden Truppen teilte man auch in Hongkong die Ansicht, dass der Qing-Hof „im geheimen Einverständnisse mit der Boxersecte stehe und letztere als Werkzeug zur Vertreibung und Unterdrückung der Fremden in China benütze.“ Da die britische Verwaltung von Hongkong die Wiederausfuhr von nach China bestimmten Krupp- Geschützen untersagte, sowohl britische als auch deutsche Kriegsschiffe Kurs nach Dagu genommen hatten und amerikanische und japanische Truppen in naher Zukunft vor Dagu landen sollten, vermutete Post, dass zwischen China und den Mächten bereits der Kriegszustand eingetreten sei.363 Angesichts der „unerwarteten Angriffe“ der Qing-Truppen auf die Fremdenniederlassungen in Tianjin, wurden auch in Hongkong Befürchtungen um die Sicherheit der Kolonie laut - ähnliche Ängste artikulierte man auch in Macau. Post, der in seinem Bericht vom 27. Juni die Ankunft zahlreicher Missionare, Frauen und Kinder aus Shanghai meldete, war der Ansicht, dass die britische Kronkolonie „gegenwärtig der sicherste Platz in den chinesischen Gewässern ist“. Er wies darauf hin, dass sich die chinesische Bevölkerung dieser Colonie allein auf ca. 243 500 Köpfe beläuft, welcher inclusive von Militär und Flotte nur ca. 15 000 Angehörige der kaukasischen Race gegenüberstehen. Post erblickte in dieser Konstellation eine unmittelbare Gefahr für die in Hongkong lebenden Fremden: Es ist daher durchaus nicht ausgeschlossen, dass unter dem mächtigen Eindrücke, welchefn] die unvermutheten Erfolge der Boxersecte im Norden China’s auch auf die eingebome, hiesige Bevölkerung machen, sich letztere zu Feindseligkeiten gegen die verhassten Fremden hinreissen lässt. Da letztere sowohl im täglichen Leben als auch im Handel und Verkehr von ersteren völlig abhängig sind, so können solche Feindseligkeiten und Unruhen leicht einen sehr bedrohlichen Charakter annehmen und nur mit grosser Mühe zu unterdrücken sein. Da die britische Kolonialverwaltung erst relativ spät Maßnahmen zur Verteidigung ergriffen hatte und lediglich die Tätigkeit der geheimen Gesellschaften unter der chinesischen Bevölkerung strenger überwachte, war es bereits zur Gründung von Freiwilligenkorps gekommen. Auch die in Hongkong lebenden Deutschen boten der Kolonialverwaltung ihre Dienste an, nachdem Kaiser Wilhelm II. am 26. Juni telegraphisch seine Einwilligung erteilt hatte. Post berichtete, dass sich die in Hongkong lebenden österreichisch-ungarischen Staatsangehörigen wahrscheinlich ebenfalls dem deutschen Korps anschließen werden.364 Zur Bildung eines solchen deutschen Korps kam es jedoch nicht. Die Erlaubnis, die ursprünglich von dem interimistisch mit der Leitung der Kolonialverwaltung betrauten Generalmajor N. Y. Gascoigne erteilt worden war, wurde von Gouverneur Blake, der am 1. Juli zurückkehrte, wieder zurückgenommen: HHStA, P.A. XXIX/17, Post an Gotuchowski, Bericht No. 10/Polit. Geg., Hongkong, 22.6.1900. HHStA, P.A. XXIX/17, Post an Gotuchowski, Bericht No. 11 /Polit. Geg., Hongkong, 27.6.1900. 118