Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China
Schuldigen“ an den Unruhen und hatte dem Qing-Hof auch die Hinrichtung des Gouverneurs von Shaanxi, Yuxian, empfohlen.359 Pisko berichtete auch über „ernste Ausschreitungen seitens der hier gamisonirenden Truppen“, die sich in den letzten Novembertagen ereignet hatten.360 Berichte aus Hongkong über die Unruhen in Nordchina Am 9. Juni 1900 erhielten drei Kompanien des in Hongkong stationierten 2. Bataillons der Welch Fusiliers Befehl, sich zur Einschiffung nach Dagu bereit zu halten. Wie der k. u. k. Vizekonsul Nikolaus Post, damals interimistischer Gerent des Konsulats Hongkong, unter Datum vom 13. Juni berichtete, sollten am 15. Juni ca. 1 000 Mann mit 6 Geschützen von Hongkong nach Norden abgehen. Um die Kronkolonie am Eingang des Zhujiang in militärischer Hinsicht nicht bloßzustellen, sollten Truppen aus Singapore und Britisch-Indien herangeführt werden. Dies schien Post durchaus angezeigt: Für die grosse und rasche Verbreitung der Boxersecte spricht die Thatsache, dass selbst hier seit kurzem Emissäre derselben aufgetaucht sind und in eigens gemietheten Läden die angebliche Unverwundbarkeit ihrer Körper den Chinesen demonstrieren, um letztere hiedurch zum Anschlüsse an ihre Secte zu gewinnen.361 Post berichtete am 16. Juni 1900, dass auch in der südchinesischen Provinz Yunnan Aufstände ausgebrochen wären. Die Einrichtungen der katholischen und protestantischen Missionen waren telegraphischen Meldungen zufolge zerstört worden und die Missionare mussten sich in den Amtssitz des Yun-Gui zongdu (Generalgouvemeur der Provinzen Yunnan und Guizhou) flüchten. Die französische Kolonialverwaltung von Indochina hatte schnell reagiert und Truppen in die Stadt Mengzi einrücken lassen, „welche nur 6 Tagereisen von der französischen] Grenze entfernt liegt.“ Post ging davon aus, dass die Franzosen mit dieser Aktion die Beschützung ihrer Landsleute beabsichtigten, doch war er sich sehr wohl bewusst, dass der Vormarsch auf chinesisches Gebiet für die Franzosen auch das politische Terrain ebnen sollte, im Falle einer neuerlichen Abtretung chinesischen Territoriums an fremde Mächte auch ihre schon lange geltend gemachten Ansprüche auf die Einverleibung des äussersten Südwestens China’s in das Gebiet der Colonie Indo-China zu verwirklichen.362 Am 22. Juni konnte Post lediglich berichten, dass der französische Konsul in der Stadt Yunnan (heute: Kunming) von den Chinesen gefangen genommen wurde. Ansonsten herrschte jedoch Unklarheit über die dortige Lage. Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China 359 Zum Besuch des deutschen Generalkonsuls bei Liu Kunyi in Nanjing vgl. neben dem Bericht Piskos auch Admiralstab, Wirren in China, S. 217. 360 HHStA, 1B Kart. 414, 86/1692 ex 1900, Pisko an MdÄ, No. CXXXV. Polit., Shanghai, 28.11.1900. 361 HHStA, P.A. XXIX/17, Post an Gotuchowski, Bericht No. 8/Polit., Hongkong, 13.6.1900, zum Abgang der Trappen am 15. und 16.6.1900 vgl. ebenda, Post an Gotuchowski, Bericht No. 9 Polit., Hongkong, 16.6.1900. - Der Begriff „Boxersecte“ wurde auch von der ÖMO 26 (1900), S. 71 verwendet; siehe auch ebenda, S. 75; „[...] die chinesische Secte der Boxer [...]“. 362 HHStA, P.A. XXIX/17, Post an Gotuchowski, Bericht No. 9/Polit., Hongkong, 16.6.1900. 117