Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China hatte ebenfalls beabsichtigt, Truppen nach Shanghai zu senden. Liu Kunyi ließ daraufhin Vizeadmiral Seymour wissen, dass er gegen die Landung einer internationalen Truppenmacht in Shanghai Protest einlegen müsse. Ein solcher Schritt von Engländern und Franzosen könnte zu einer Eskalation wie in Tianjin führen. Unterdessen beschloss das Konsularkorps, gleich lautend an die Regierungen um Truppen für eine Landung in Shanghai zu bitten.'50 Die Konsuln waren sich bewusst, dass die Abreise bereits eingetroffener Truppen das Prestige der Großmächte nachhaltig schädigen würde.351 In einem Schreiben an den Kommandanten S.M.S.“Kaiserin und Königin Maria Theresia“ meinte Pisko am 16. August, dass die britischen Truppen zwar angekommen, aber wegen der „internationalen Eifersüchteleien“ noch nicht gelandet wären; trotzdem würde der Rückzug bereits gelandeter Truppen einer großen „Schlappe des europäischen Prestiges“ gleichkommen.352 Detaillierte Meldungen über den am 4. August begonnenen Vormarsch der kooperierenden Truppen gegen Beijing klammerte Pisko bewusst aus seiner Berichterstattung aus, da diese von den k. u. k. Schiffskommanden ohnehin nach Wien übermittelt und auf diese Weise auch dem Ministerium des Äußern zur Kenntnis gelangen würden. Am 16. August war Pisko von der Lazaristen- Prokuratur in Shanghai informiert worden, dass in Shandong zahlreiche katholische Missionare Opfer der Yihetuan wurden; Gerüchte sprachen davon, dass sich unter den Ermordeten auch der österreichische Pater Freinademetz, S.V.D., befunden habe. Nähere Informationen über die Hintergründe dieser Meldung lagen Pisko zum damaligen Zeitpunkt allerdings nicht vor.353 Der Vormarsch der kooperierenden Truppen gegen Beijing veranlasste Liu Kunyi und Zhang Zhidong, von den Konsularvertretem Großbritanniens, Frankreichs, Russlands, des Deutschen Reiches, Japans und der Vereinigten Staaten eine Garantie zu verlangen, dass die Truppen nichts gegen den Guangxu-Kaiser und die HHStA, P.A. XXIX/19, Pisko an Gotuchowski, Bericht No. XCIV Polit., Shanghai, 17.8.1900. HHStA, P.A. XXIX/14, Telegramm No. 158, Chiffre, Pisko an MdÄ, Shanghai, 15.8.1900. KA, Schiffsakten „Kaiserin und Königin Maria Theresia“, 1900, Pisko an den Kommandanten der Maria Theresia, Shanghai, 16.8.1900. - In seinem Missionsbericht übernahm Sambuchi Piskos Wortwahl, wenn er dabei von „Eifersüchteleien zwischen den beiden genannten Mächten“, d. h. zwischen England und Frankreich sprach; vgl. KA, MS/OK 1900-XI-2/6, Nr. 2 365, Missionsbericht S.M.S. „Kaiserin und Königin Maria Theresia“ an RKM/MS, Res. No. 205, Taku- Rhede, 23.8.1900. HHStA, P.A. XXIX/19, Pisko an Gotuchowski, Bericht No. XCIV Polit., Shanghai, 17.8.1900. - Zur Situation und den Verlusten der christlichen Mission im Laufe der Unruhen des Sommers 1900 vgl. den Überblick bei Kenneth Scott Latourette, A History of Christian Missions in China, London 1929, S. 501-526; Li Shiyue, Jindai Zhongguo fan yangjiao yundong [Bewegungen gegen ausländische Missionare in der neueren Geschichte Chinas], Beijing 1958, S. 94-108; Esherick (1987), S. 304-306; Cohen (1997), S. 79-83 et passim; zu den Erlebnissen österreichischer Missionare vgl. unten. Zu den Verlusten der protestantischen Mission vgl. auch The Boxer Rising: A History of the Boxer Trouble in China. Reprinted from the „Shanghai Mercury“, Shanghai 1900, ND New York 1967, S. 115-118. 115

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