Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Georg Lehner - Monika Lehner „seit Wochen in chinesischen Kreisen“ ein Gerücht zirkulierte, demzufolge der russische Gesandte Giers und eben Rosthom „in Peking ermordet wurden.“ Eine etwaige Verifizierung dieses Gerüchts war zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich, da Li Hongzhang eine direkte Verbindung mit dem diplomatischen Korps „unter allerlei nichtigen Vorwänden abschlug.“139 Die von Li Hongzhang und Sheng Xuanhuai gegenüber den fremden Vertretern in Shanghai scheinbar verfolgte Desinformation bezeichnete Pisko als „frevelhaftes Spiel mit dem Consularcorps“. Bis zum 30. Juli waren in Shanghai weitere Schreckensnachrichten aus dem Norden eingetroffen. Einer „offiziellen“ Nachricht zufolge waren in Baoding sämtliche Europäer ermordet worden. Dem französischen Generalkonsulat in Shanghai war die Nachricht zugegangen, dass Li Bingheng, „welcher mit einer bedeutenden Truppenmacht den Rebellen nach Peking zu Hilfe eilt“, auf dem Marsch nach Norden alle Ausländer ermorden lasse. Aus Zhifu hatte Pisko die Nachricht erhalten, dass die Europäer in Beijing viele Tote und Verwundete zu beklagen hätten und die meisten von ihnen „in die katholische Kathedrale sich geflüchtet haben.“ Schließlich berichtete Pisko, dass es ihm gelungen sei, einen chinesischen Telegrafen-Beamten zu bewegen, ein Telegramm für Herrn von Rosthom anzunehmen, in welchem ich Letzteren um ein für mich als unzweifelhaft als echt erkennbares Lebenszeichen bat. Eine Antwort könnte, falls Herr von Rosthom wohlbehalten ist, wohl erst in einigen Tagen hier eintreffen.14 Zwei Tage später, am 1. August, hatte Pisko dem Ministerium des Äußern neuerlich eine Hiobsbotschaft mitzuteilen, an deren Richtigkeit im Gegensatz zu den über das Schicksal Rosthoms kolportierten Gerüchten jedoch kein Zweifel bestehen konnte: ,„Times‘-Meldung Peking betreffs Commandant ,Zenta‘ ist augenscheinlich authentisch.“141 Am 3. August schrieb Pisko, dass die entsprechende Meldung des „Times“-Korrespondenten George Emest Morrison142 - „welcher überdies als sehr gewissenhafter Reporter bekannt ist“ - über den Tod Thomanns im Zuge der Kämpfe in Beijing ,Jeeinen Zweifel über das tragische Ende“ des Fregattenkapitäns lassen könne. Pisko benützte noch einmal die Gelegenheit, festzuhalten, „welch grosser Beliebtheit sich der genannte Commandant mit seinem Stabe in Ost-Asien erfreute.“ Die Nachricht vom Tod Thomanns hätte „die ganze europäische Colonie in Shanghai auf das schmerzlichste berührt.“ Er berichtete zudem, dass Li Hongzhang ihm und seinen Kollegen nach 119 Ebenda, Bericht No. LXXXI Polit., Shanghai, 26.7.1900. 140 HHStA, P.A. XXIX/18, Pisko an Gotuchowski, Bericht No. LXXXII Polit., Shanghai, 30.7.1900. 141 HHStA, P.A. XXIX/14, Telegramm No. 384, Chiffre, Pisko an MdÄ, Shanghai, 1.8.1900. - Kurz vor der Abfahrt der „Zenta“ hatte Thomann in einem Bericht an die Marinesektion Piskos Verdienste eingehend gewürdigt. Vgl. KA, MS/PK 1900-X1V-2/2, Nr. 1 572, S.M.S. „Zenta“ an RKM/MS, Res. No. 118, Nagasaki, 20.5.1900. 142 Zu Morrison, der in den Wochen und Monaten nach dem Entsatz von Beijing in seinen Berichten unter anderem auch das österreichische Marinedetachement für sein Verhalten zu Beginn der Belagerung kritisierte, vgl. Cyril Pearl, Morrison of Peking. Explorer, Foreign Correspondent, Po­litical Adviser and one of the makers of the Chinese Republic (Ausg. Harmondsworth 1970), zu seiner Rolle während und zu seiner Beurteilung der Ereignisse von 1900 siehe ebenda, S. 107- 134. 112

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