Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China Li Hongzhang, der am 18. Juli Hongkong verlassen hatte, traf am 23. Juli in Shanghai ein. Er bekräftigte gegenüber dem französischen Generalkonsul Comte Bezaure, dass die in Beijing eingeschlossenen Fremden noch am Leben wären”5 und richtete an einige Konsuln die Frage, ob die Mächte die Feindseligkeiten einstellen würden, falls die Qing-Regierung die in Beijing belagerten Diplomaten ausliefere.”6 Ab diesem Zeitpunkt kursierten in Shanghai „immer lebhaftere“ Gerüchte, dass zumindest ein Teil der Belagerten noch am Leben wäre. Pisko erschien es einerseits auffallend, dass es weder Sir Robert Hart, dem Inspector General der Imperial Maritime Customs, noch Dmitrij D. Pokotilov, dem Direktor der Russisch- Chinesischen Bank, „durch volle 28 Tage nicht gelungen sein sollte, irgend ein Lebenszeichen von sich zu geben“; andererseits fiel es ihm jedoch schwer anzunehmen, dass „all die von den verschiedenen Mandarinen uns officiell gemachten Mittheilungen ganz und gar erlogen sein sollten.“”7 Li Hongzhang vertrat gegenüber den fremden Vertretern in Shanghai die Ansicht, dass das Leben der in Beijing eingeschlossenen Europäer bei einem Vormarsch der kooperierenden Truppen auf die Hauptstadt akut gefährdet sei. Die Anwesenheit Li's warf mehr Fragen auf, als sie beantworten konnte. Über die Haltung des Konsularkorps berichtete Pisko: Mit Rücksicht auf den Umstand, dass es gar nicht einmal klar ist, wer eigentlich Li- hung-chang [Li Hongzhang] nach dem Norden berufen hat, wird dem genannten Functionär hier wenig Vertrauen entgegengebracht, und hat das Consular Corps auch einstimmig beschlossen, ohne spezielle Instructionen der europäischen Regierungen, mit demselben nicht in Verhandlungen zu treten. Pisko berichtete auch am 24. Juli wieder über blutige Übergriffe auf Europäer in verschiedenen Provinzen des Chinesischen Reiches: Die bestialische Grausamkeit, mit welcher chinesische Truppen und Boxer harmlose Europäer massacrirt haben, sucht ihres Gleichen in der Geschichte. Es ist officiell festgestellt, dass einer der in Heng-chou [Hengzhou] in Hunan ermordeten katholischen Priester [...] in Baumwolle gewickelt, mit Petroleum übergossen, und so lebendig verbrannt wurde, dass verwundete englische und russische Soldaten in der entsetzlichsten Weise verstümmelt wurden, dass die Schwester des französischen Ingenieurs Aussent in schändlicher Weise misshandelt, ihr sodann der Kopf abgeschnitten und in den Unterleib genäht wurde etc. etc. Aus allen diesen Gründen herrscht selbstverständlich grosse Besorgnis um das Schicksal der in den einzelnen Theilen des weiten Reiches eingeschlossenen Europäer, meistens Missionäre, welche oft gar nicht in der Lage sind ihre Residenz zu verlassen, und wochenlange Reisen durch aufrührerische Gebiete anzutreten.”8 Die Gerüchte über Ermordungen von Europäern schlossen auch den k. u. k. Geschäftsträger in Beijing mit ein. Pisko berichtete am 26. Juli, dass in Shanghai HHStA, P.A. XX1X/14, Pisko an MdÄ, Telegramm No. 1 831, Chiffre, Shanghai, 23.7.1900; HHStA, P.A. XXIX/18, Pisko an Gotuchowski, Bericht ZI. LXXX Polit., Shanghai, 24.7.1900 sowie ebenda, Pisko an Gotuchowski, Bericht No. LXXXI Polit., Shanghai, 26.7.1900 (über Besprechungen Li’s mit US-Generalkonsul Goodnow und mit dem italienischen Konsul Ghisi). HHStA, P.A. XXIX/14, Pisko an MdÄ, Telegramm No. 4 854, Chiffre, Shanghai, 25.7.1900. HHStA, P.A. XXIX/14, Pisko an MdÄ, Telegramm No. 4 854, Chiffre, Shanghai, 25.7.1900. HHStA, P.A. XXIX/18, Pisko an Gotuchowski, Bericht No. LXXX Polit., Shanghai, 24.7.1900. 111

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