Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China
Georg Lehner - Monika Lehner das im Osten gelegene Qihuamen sei jedoch für den Verkehr freigegeben. Die in den Gesandtschaften Belagerten hätten bislang 60 Tote zu beklagen.304 Aus zwei Telegrammen, die Yuan Shikai an das Konsularkorps in Zhifu richtete, und deren Inhalt am 26. Juli bekannt wurde, ging hervor, dass er das Ansuchen der Admiräle auf Vermittlung eines Lebenszeichens der in Beijing eingeschlossenen diplomatischen Vertreter der auswärtigen Mächte erhalten und durch einen Expressboten dem Zongli Yamen übermittelt habe. Die Antwort aus Beijing fiel beruhigend aus: alle Minister seien wohlauf und die Eingeschlossenen würden auch mit Lebensmitteln versorgt.305 Nach einer Nachricht, die vom britischen Gesandten Macdonald unterzeichnet war, hielten die Eingeschlossenen am 21. Juli 1900 folgende Verteidigungslinie: 200 yards (182 m) Mauer der Tartarenstadt, den südlichen Theil der amerikanischen Gesandtschaft, die russische und britische Legation, den halben Park östlich gegenüber der letzteren, wie auch die französische und deutsche Gesandtschaft. Die Belagerten wären von allen Seiten angegriffen worden. Neben Gewehren wäre auch Artillerie zum Einsatz gekommen. Seit Beginn der Feuerpause am 16. Juli hätten beide Seiten ihre Positionen weiter befestigt. Macdonald gab an, dass man Lebensmittel „höchstens für zwei Wochen“ habe und dass Munition knapp geworden wäre. Der britische Gesandte befürwortete ein rasches Vorgehen der Entsatztmppen, sobald diese die Umgebung von Beijing erreicht hätten. Ansonsten könnten die zurückweichenden chinesischen Trappen noch einen weiteren - dann vielleicht entscheidenden - Angriff auf die Gesandtschaften ausführen.306 307 Bis Ende Juli hatten fast alle Gesandtschaften und Marinedetachements Nachrichten über die Lage in Beijing durch Kuriere auf äußerst gefahrvolle Weise durch die chinesischen Linien bringen können. Lediglich von der k. u. k. Gesandtschaft fehlte eine solche direkte Nachricht. Gottwald berichtete, dass der k. u. k. Acting Consul in Zhifu am 30. Juli 1900 vom Kommando S.M.S. „Zenta“ beauftragt wurde, bei Yuan Shikai zu veranlassen, dass er mit thunlichster Beschleunigung von Peking eine vom k. und k. Geschäftsträger oder einem unserer dort befindlichen Offtciere geschriebene bezw. Unterzeichnete Mittheilung über das Schicksal unserer Landsleute requirire und durch das Consulat in Chefoo zusende.3111 Die weitere Entwicklung dieses Schriftwechsels konnte Gottwald nicht mehr vor Ort verfolgen. Am 2. August schiffte er sich an Bord des deutschen Kreuzers „Kaiserin Augusta“ ein, um via Zhifu wieder nach Shanghai zu gelangen.308 Konsul HHStA, P.A. XX1X/19, Gottwald an Pisko, Taku, 28.7.1900, Beilage 2 zu: Pisko an Gotuchowski, Shanghai, 3.8.1900. 305 Ebenda, Taku, 29.7.1900. Beilage 3 zu: Pisko an Gotuchowski, Shanghai, 3.8.1900. 306 HHStA, P.A. XX1X/19, Gottwald an Pisko, Taku, 30.7.1900. Beilage zu Pisko an Gotuchowski, Bericht No. LXXXV1 Polit., Shanghai, 8.8.1900. 307 Ebenda. 308 KA, MS/OK 1900-V-l 1/24, Nr. 2 109, S.M.S. „Zenta“ Res. No. 239, Vorfallenheitsbericht seit 28. Juli 1900, Taku, 5.8.1900. 104