Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)

Von der alten zur neuen Ordnung - Hanns Haas: Das Ende der Habsburgermonarchie

Das Ende der Habsburgermonarchie bolische Akte definierten den nationalen Besitzanspruch über Land, Menschen, Geschichte und Kultur. Ganze Gebirge wurden neu benannt, Ortsnamen erfunden und umgedeutet, Länder nach nationalen Kategorien begrifflich zerrissen (beispielsweise Deutschböhmen, Sudetenland, Welschtirol, usf.), um nationale Ansprüche zu unterstreichen. Nicht alleine die Nationalgeschichte, auch die Lan­desgeschichten wurden national eingefarbt und gedeutet.24 Die Wissenschaften, allen voran die Geschichtsschreibung, lieferten dem nationalen Ringen nützliche Argumente. Neben die dynastische Geschichtsmythologie trat somit eine nationale, die je nachdem den Herrschaftsanspruch mit alten Privilegien oder die Emanzipati­on mit ererbter Demokratiegesinnung begründete.25 Die ganze Geschichte wurde national stilisiert. So entlieh die tschechische Geschichtsschreibung bei Herder den Mythos vom tausendjährigen Kampf zwischen herrschsüchtigen Deutschen und demokratischen Slawen; wie umgekehrt die deutschböhmischen Städte allenthalben dem angeblichen deutschen Zentralisten Kaiser Joseph Denkmäler errichteten. Doch die habsburgische Obrigkeit war da nachsichtig. Sie erlaubte die Ge­schichtserinnerung an die Zeit vor den Habsburgem. Ein eigener Band der weit verbreiteten Reihe „Österreichische Geschichte für das Volk“ war der „Blüte der nationalen Dynastien (Babenberger Premsliden-Arpaden) in den österreichischen, böhmischen und ungarischen Ländern“ gewidmet.26 Ihrem Luxemburger König Karel, otec Cechü, dem Vater der Böhmen/Tschechen setzten die Tschechen ein erzenes Standbild. Und das große Deckenbild im galizischen Landtagsgebäude war der Unio Lubielksa gewidmet, der mittelalterlichen Einigung zwischen Polen und Litauen. So hatte jede Nation ihre Heroen und großen Gedenktage. Der habsburgische Geschichtsmythos hingegen war dynastisch konzipiert. Die patriotischen Denkmäler einer großen Geschichte waren sämtlich in der Reichs­hauptstadt plaziert; die Kaiser Josef II. und Franz IL (I.) beherrschten jeweils einen Platz der inneren Stadt und die mit den Ungarn sympathisierende Kaiserin Maria Theresia als Sinnbild des Dualismus zwischen Österreich und Ungarn den Park zwischen den Hofmuseen. Prinz Eugen und Erzherzog Carl bildeten die einzige Referenz an die Geschichtsmythen der Türkenkriege und „Befreiungskämpfe“. Diese zentralen Räume mied der Nationalismus. Sein Ort war die „Provinz“, wobei Leipziger Poetenstreit. Das tschechisch-deutsche Nationalitätenproblem im Spiegel des Denkmal­kults um die Dichter Josef Emanuel Hilscher und Karel Hynëk Mâcha, ln: ebenda, S. 229-252. 24 Haas, Hanns: Bilder vom Heimatland Salzburg. In: Liebe auf den zweiten Blick. Landes- und Österreichbewußtsein nach 1945, hrsg. von Robert Kriechbaumer. Wien-Köln-Weimar 1998 (Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945. Bd. 6), S. 149-201. 25 Hobsbawm, Eric J.: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Franfurt am Main 1991. 26 Verfasser Zeißberg, Heinrich: Blüte der nationalen Dynastien (Babenberger-Premsliden- Arpaden) in den österreichischen, böhmischen und ungarischen Ländern. Wien 1866 (Österreichische Geschichte für das Volk. Bd. 2). 25

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