Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)

Von der alten zur neuen Ordnung - Hanns Haas: Das Ende der Habsburgermonarchie

Hanns Haas Standardisierung und Egalisierung bilden zugleich ein nationales Hauptanliegen und eine Voraussetzung für das „Projekt Moderne“. Die große Bedeutung einer normierten Volkssprache als Verständigungsmittel jeder modernen Gesellschaft wird vor allem von der kommunikationsgeschichtlich orientierten Nationalismus­forschung bekräftigt.20 Ich ergänze hier für den Habsburgerstaat die soziale Schichtung zwischen reichen und armen, dominanten und beherrschten Ethnien, sodaß der kulturelle Prozeß der Nationswerdung mit sozialen Emanzipationsanlie­gen verschmolz und so den Sprachnationalismus als Integrationsangebot attraktiv machte. In einer solchen sozialwissenschaftlich orientierten Analyse scheint der irrationale Nationalismus zuletzt doch rationale Gruppeninteressen zu reflektie­ren.21 Nicht weniger wichtig waren jedoch psychologische Faktoren. In letzter Kon­sequenz versprach der moderne Nationalismus eine neue imaginäre Heimat nach dem Verlust der überschaubaren kleinen Lebenswelten von Dorf und Kleinstadt, und auf dieser Ebene konkurrierte er mit dem psychosozialen Angebot des Habs­burgerstaates von Schutz und Geborgenheit. Gegen die Allmacht der Tradition konnte sich nur ein neuer Kulturstil behaupten. Daher war der Nationalismus laut, fordernd, tagespolitisch orientiert, für die große Öffentlichkeit konzipiert, durch Schaukämpfe gekennzeichnet. Der Gegensatz bildete sein Grundprinzip. Wo deutsche Sprachschutzvereine die nationalen Gren­zen definierten, dort wirkten zugleich tschechische Sprachschutzvereine. Ein deut­scher Alpenverein erforderte einen slowenischen, ein tschechischer Gesangsverein einen benachbarten polnischen. Vielfach verirrte sich diese Konfrontation auf das kulturelle Gebiet. So verpflanzte die Südtiroler regionale Deutschtumspflege den mittalterlichen Dichter Walther von der Vogelweide in ihre Bergwelt und widmete ihm in Bozen ein weißes Marmordenkmal, obwohl kein sicherer Hinweis auf einen biographischen Zusammenhang mit Tirol besteht.22 Solche Zeichen erforderten eine Antwort, daher setzte der italienische Nationalismus unweit in Trient dem Natio­nalheros Dante ein würdiges erzenes Denkmal. Wieder beobachten wir außerdem die ermüdende Retundanz der immer gleichen Themen; so gehörte Schiller zum Standardrepertoire der städtischen Denkmalpflege. Doch während dieses Pflicht­programm die nationalen Herren in die „Provinz“ verpflanzte, erinnerte ein be­gleitender Denkmalkult an die lokalen und regionalen Kulturgrößen, die der „Provinz“ ihren Platz im Kulturensemble der Nation sicherten.23 Kurz gesagt, sym­20 Gellner, Emest: Nationalismus und Moderne. Berlin 1991 (Rotbuch Rationen). 21 Kumer, Anton: Die Grundlagen des „nationalen Prinzips“ in Jugoslawien und seine Rolle im Prozeß der Unabhängigkeitserlangung Sloweniens. Salzburg (Diss.) 1997. 22 J o h 1 e r, Reinhard: Walther von der Vogelweide - Erinnerungskultur und bürgerliche Identität in Südtirol, ln: Bürgerliche Selbstdarstellung. Städtebau, Architektur, Denkmäler, hrsg. von Hanns Haas und Hannes Stekl. Wien-Köln-Weimar 1995, S. 195-203. 23 Dimmel, Windried - H e i nt s che 1, Hans-Christian: Dichterkult an der Peripherie: Die Ha- merling-Denkmäler im oberen Waldviertel, ln: ebenda, S. 205-228; Mikusek, Eduard: Der 24

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