Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)

Von der alten zur neuen Ordnung - Hanns Haas: Das Ende der Habsburgermonarchie

Das Ende der Habsburgermonarchie stillen Patriotismus waren die örtlichen Veteranen und sehr häufig die zur Sommer­frische „am Lande“ beheimateten Wiener. Wie ganz anders feierte Frankreich seine gleichfalls in den Sommer fallende Erinnerung an die Erstürmung der Bastille! Auch die zwei großen Feste der franzisko-josefinischen Periode galten dem Mon­archen und seiner Familie: Einen ersten Anlaß lieferte das 25jährige Hochzeitsju­biläum des Kaiserpaares 1879; damals ließ der historistische Gesamtkünstler Hans Makart die Geschichte und Leistungen der Wirtschaftsklassen Revue passieren. Der Huldigungsfestzug zum sechzigjährigen Regierungsjubiläum 1908 war ein Trachtenfestzug aller österreichischen Kronländer und Nationalitäten.16 Franz Josef liebte solche Huldigungen, wenngleich der Gegensatz zwischen Feststimmung und „dem sonstigen Jammer, Ärger und Kummer“ der Innenpolitik die Freude am Fei­ern trübten.17 Allen diesen Kulten assistierte die Kirche, natürlich in erster Linie die staatstragende katholische. Doch auch die anderen großen Glaubensbekenntnisse, die mit dem Papst versöhnten unierten sowie die orthodoxen Griechen und Arme­nier waren in die Staatstreue eingeschlossen. Selbstverständlich enthielten auch die Gebetbücher der Juden fromme Wünsche für den Landesvater. Peinlich vermieden die Staatskulte den Bezug auf die große Geschichte, etwa auf die bedeutenden Daten der Kriege gegen die Schweden und die Türken. Die Erinnerung an die 200jährige Wiederkehr der Türkengefahr des Jahres 1683, sowie die „Befreiungs­kriege“ der Napoleonischen Ära wurden bloß von der Stadt Wien hochgehalten. Diese unreflektierte habsburgische Grundstimmung überdauerte den Kriegsbe­ginn 1914, und selbst der Sozialdemokrat Karl Renner interpretierte die erwiesene staatliche Kohärenz als „Österreichs Erneuerung“ im Sinne einer Chance für einen demokratisch verjüngten Nationalitätenstaat.18 Erst die lange Dauer des Krieges, die Jahre der Entbehrungen und zuletzt die militärische Niederlage im Herbst 1918 gaben den Weg frei für einen friedlichen Übergang zum alternativen Gestal­tungsprinzip des Nationalstaates. Dieses Nationale repräsentiert in der Geschichte des Habsburgerreiches die zweite Seite der Medaille, das Neue, den Wandel, die Veränderung, das laute Be- kennertum, die ungestümen Forderungen. Die modernen politischen Nationen ent­standen in Österreich-Ungarn auf der Basis der überlieferten kulturell-sprachlichen Identität, des Ethnikums, welches sie in einem langen Erziehungsprozeß zur politi­schen Handlungsgemeinschaft der „imaginierten“ Nation umformten.19 Kulturelle 16 Der Kaiser-Huldigungs-Festzug. Wien, 12. Juni 1908. Eine Auswahl von Bildern. 2. Aufl. Wien 1908. 17 Brief vom 9. Mai 1898 an Kaiserin Elisabeth, Bericht über die aus Anlaß des Regierungsjubilä­ums beflaggte Ringstraße. Briefe Kaiser Franz Josephs an Kaiserin Elisabeth 1859-1898, hrsg. von Georg Nostiz-Rieneck. Bd 2. Wien-München 1966, S. 402. 18 Renner, Karl: Österreichs Erneuerung. Wien 1916. 19 Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Frankfurt-New York 1996. 23

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