Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)
Von der alten zur neuen Ordnung - Hanns Haas: Das Ende der Habsburgermonarchie
Das Ende der Habsburgermonarchie wissenschaftliche Untersuchungen behandeln ihre Zusammensetzung, ihr Wirken, ihre Loyalität zum Staat, allerdings auch das Einsickem gesellschaftspolitischer und nationaler Interessen in ihre Kader.13 Daß diese staatstragenden Einrichtungen bis zuletzt, bis weit in den Weltkrieg hinein, funktionierten, läßt sich hingegen nicht bestreiten. Die zivilisatorischen Leistungen im Bereich der Bildung, der wirtschaftlichen Modernisierung, der Erhöhung des Lebensstandards sind unbestritten. Gesetzkenntnis und Unbestechlichkeit garantierten ordentliche Verfahren auf dem Amt und vor Gericht. Selbst die bürgerliche politische Bewegungsfreiheit konnte sich in gewissen, wenn auch zaghaft erweiterten Grenzen entfalten. Diese Gewißheit von Sicherheit und Ordnung erzeugte aber keinen wirklichen Staatspatriotismus, sondern bloß Anhänglichkeit an überlieferte Formen. Nicht der abstrakte Staat, sondern die Behörde und das Amt bildeten daher im Habsburgerstaat den Bezugspunkt der Gemeinschaftsgesinnung. Vertrautheit vermittelte nicht zuletzt der äußere Habitus der Staatsdiener, die tadellos gehaltene Uniform, die stets unfreundliche Miene im Umgang mit den „Parteien“, zuletzt sogar der dem kaiserlichen ersten Beamten nachgeeiferte Backenbart. Diese Uniformen forderten den Respekt der Untertanen, indem sie die Identifikation des Beamten mit seiner Staatstreue vollendeten. So war es im alten Österreich: In stockfinsterer Nacht warten die Bahnbeamte neben ihren heruntergelassenen Schranken, die Uniformen sind gebürstet, „sie stehen stramm und salutieren vor dem Nachtschnellzug“, der ihre Strecke passiert. Dieses Erinnerungszeugnis überliefert uns Bohumil Hrabal in seinen „Tanzstunden für Erwachsene“.14 Ein Hauptmann von Köpenick, den seine Uniform als Zeichen militärischer Sonderstellung im Staat über die gewöhnlichen Sterblichen erhebt, ist in der österreichischen Staatskultur nicht denkbar. Als bewußtseinsprägende Faktoren kaum weniger wichtig waren die repräsentativen Zeugen der Staatspräsenz, die nüchtern-repräsentativen Verwaltungsbauten, Gerichtsgebäude und Kasernen, nicht zu vergessen die kleinen Landschulen und großen Schulpaläste, und die - zumeist von privaten Gesellschaften errichteten - Bahnhöfe, welche insgesamt ein unverwechselbares kulturelles Ensemble schufen und für Generationen den Rahmen ästhetischer Identitätsbildung und habsburgi- scher Affirmation bildeten. Es war eine Kultur des Schauens, welche diesem Zeitalter die Signatur verlieh. Nicht große Inhalte, sondern die erhabene Form, das Äußerliche, befriedigten das emotionale Wohlbefinden des guten Bürgers. Nicht zufällig wurde die Neurenaissance mit ihrem imperialen Gestus und ihrer Vielfalt von Detailformen zum Stil einer ganzen Periode, bis sie zur Jahrhundertwende der 13 Megner, Karl: Beamte. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte des k. k. Beamtentums. Wien 1985, S. 209-214. 14 Hrabal, Bohumil: Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene. Frankfurt am Main 1967, S. 44. 21