Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)
Von der alten zur neuen Ordnung - Hanns Haas: Das Ende der Habsburgermonarchie
Hanns Haas voneinander separiert waren und den Herrschern keine religiös-dogmatischen Funktionen zustanden. Daher konnte der Kaiser den heiligen Handlungen nur assistieren, etwa bei der Fronleichnamsprozession als erster weltlicher Würdenträger hinter dem Allerheiligsten und am Gründonnerstag bei der Fußwaschung in dienender Funktion wie einst Jesus an seinen Jüngern: Elemente barocker Schaufrömmigkeit, welche Kaiser und Volk im katholischen Glauben vereinten. Alle diese in Jahrhunderten eingelemten Bilder der Pietas Austriaca wurden im Volk verinnerlicht.9 So berichtet die tschechische Dichterin Bozena Nëmcovâ von Kaiser Josef II., der im Volke als guter Kaiser fortlebte, weil er einem armen Mädchen ein paar Gulden schenkte.10 * Auch der slowenische Bauemknecht Jemej scheute nicht die weite Fußreise bis in die kaiserliche Hofburg, um sein Recht in einer Erbangelegenheit zu suchen. Diese Geschichte überliefert uns der sozialistisch inspirierte slowenische Dichter Ivan Cankar. „Der Kaiser ist gut, solange er recht tut“, so lautet eine alte Formel popularer Überlieferung. Der unrecht handelnde freilich verwirkt die Loyalität der Landeskinder. Die ohnehin nur seltenen Wehrdienstverweigerungen des Jahres 1914 berufen sich auf diesen Loyalitätsbruch. „Ich gehe nicht in den Krieg, ich werde ihm was pfeifen!“ Mit diesen drastischen Worten kündigte 1914 ein tschechischer Rekrut dem kaiserlichen Vater den kindlichen Gehorsam.“ Als 1918 das kaiserliche „Über-Ich“ gestürzt war, fiel eine ganze Generation in die Krise der Vaterlosen, schrieb der Freud-Schüler Emst Federn zum Ende der Habsburgermonarchie. Franz Joseph war kein Heros des bürgerlichen Zeitalters, mit seinem Wirken verbinden sich keine großen Taten, eher verlorene Schlachten.12 Bezeichnend, daß der einzige Mythos seiner Jugendjahre die rührselige Geschichte seiner Errettung vor einem Attentat durch einen bürgerlichen Fleischermeister wurde, und sein Alter vom christlichen Element eines demütig ertragenen Schicksals, beherrscht war, von diesem: „Mir bleibt nichts erspart“. Zuversicht gab dem Volke lediglich seine ferne, aber gewisse Präsenz durch Jahrzehnte und Generationen. Als unermüdlichen Schreibtischarbeiter verewigten den Kaiser zahllose Bilder. Ordnungssinn und Pflichttreue, zeitiges Aufstehen, Pünktlichkeit, Sparsamkeit bildeten den Kanon seines vorbildlichen bürgerlichen Lebens. Es ist der vom Monarchen vorgelebte Respekt vor den Institutionen und Einrichtungen, welche diesem Staate Kontinuität verlieh. Die Habsburgermonarchie war zuletzt ein Ensemble von Einrichtungen und Organisationen, welche in ihrer herkömmlichen Art gut, aber phantasielos funktionierten. Beamtenschaft und Heer bildeten die Stütze des Reiches. Neue 9 Coreth, Anna: Pietas Austriaca. Ursprung und Entwicklung barocker Frömmigkeit in Österreich. Wien 1958 (Österreich Archiv). 10 N emcovä, Bozena: Babicka. Prag 1855. “ Haas, Hanns: Krieg und Frieden am regionalen Salzburger Beispiel 1914. ln: Salzburg Archiv 20 (1995), S. 303-320, hier S. 318. 12 Beller, Steven: Franz Joseph. Eine Biographie. Wien 1997. 20