Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)
Von der alten zur neuen Ordnung - Hanns Haas: Das Ende der Habsburgermonarchie
DAS ENDE DER HABSBURGERMONARCHIE von Hanns Haas Österreich-Ungarn ist längst ein imaginäres Land. Sieben Staaten teilten sich 1918 den Habsburgerstaat, das kleingewordene Österreich, die Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Rumänien, Jugoslawien und Italien; diesem Kreis gesellte sich 1945 die Sowjetunion. Auf einer aktuellen Landkarte sind 12 Staaten an der Erbengemeinschaft beteiligt, Österreich, Tschechien, die Slowakei, Polen, die Ukraine, Ungarn, Rumänien, Bosnien-Herzegowina, das neue Jugoslawien, Kroatien, Slowenien und Italien. Fünfzig Jahre später dürfte auch in Ostmitteleuropa der schmerzvolle säkulare Prozeß der Nationalstaatsbildung bewältigt sein, der in vier Welten den Kontinent gestaltete: anfangs durch nationale Umformung bestehender absolutistischer Staaten wie Spanien, Frankreich und Großbritannien, sodann im deutschen und italienischen Falle durch die staatliche Integration von Kleinstaaten zu Nationalstaaten und zuletzt durch die Dismembration vormodemer Reiche zu Nationalstaaten.1 Ethnikum und Staat sind nunmehr in Ostmitteleuropa weitgehend deckungsgleich, seit die ethnischen Säuberungen beinahe alle Verzahnungen und Minderheiten beseitigt haben. Das Prinzip einer übernationalen Staatenbildung scheint endgültig gescheitert. Erst die saturierten Nationalstaaten dürften zur internationalen Kooperation in einem „europäischen Hause“ fähig sein, und offenkundig kommt diese neue integrative Dynamik ebenso aus dem Westen wie vordem der nationalstaaatliche Impuls. Aus der Distanz von drei Generationen läßt sich Geschehenes leicht historisieren, das Urteil der Nachwelt war leidenschaftlicher. Als „Völkerkerker“ kam der Doppelstaat bei den siegreichen slawischen und romanischen Nationalstaaten nach 1918 in Verruf. Ein kleiner tschechischer Dorfschullehrer begrüßte in der Schulchronik des südmährischen Grenzortes Baumöhl/Podmoli das Jahr 1918 als Befreiung vom „österreichischen Monster“. Selbst das deutschösterreichische Parlament erlebte 1918 den Reichszerfall beinahe wie die Befreiung von einer den Deutschen gestellten, jedoch unlösbaren Aufgabe, dieses einem dynastischen Willen entstammende Konglomerat der Völker im Zeitalter des Nationalismus zusammenzuhalten. Die anstrengenden Folgeregime milderten jedoch bald das Urteil über den alten Staat. „Stetigkeit, Sicherheit und Friedlichkeit“ formten im Habs- 1 1 Sch jeder, Theodor: Der Nationalstaat in Europa als historisches Phänomen. Köln-Opladen 1964 (Arbeitsgemeinschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften 119). 17