Helga Embacher, Gertrude Enderle-Burcel, Hanns Haas, Charlotte Natmessnig (Hrsg.): Sonderband 5. Vom Zerfall der Grossreiche zur Europäischen Union – Integrationsmodelle im 20. Jahrhundert (2000)
Vorwort / Einleitung
Einleitung nale Anerkennung.10 11 So gesehen bildete das Nachdenken über die Habsburgermonarchie einen wichtigen Bestandteil der freilich bedrohten Tauwetterperiode der Sechzigerjahre. Die Grenzen wurden durchlässig - und sogar zum Gegenstand der Forschung. Südmähren - Tor und Brücke/Jizni Morava - brana a most, mit einem solchen „völkerverbindenden“ Thema beschäftigte sich ein bilateraler österreichisch-tschechoslowakischer Kongreß im Frühjahr 1968. Die politische Realität blockierte jedoch solche Bemühungen. Es ist daher nur folgerichtig, daß der Kongreß zum fünfzigjährigen Bestehen der Tschechoslowakei im Jahre 1968 nicht mehr stattfinden konnte. Zwei schmale Protokollbände kündigen dennoch vom politischen Wollen der Tagung.“ Doch die nachfolgende Phasen der „Normalisierung“ konnte das einmal in die Wege geleitete Nachdenken über die Habsburgemmonarchie nur noch verzögern, nicht mehr aufhalten. In lockerer Verbindung entstanden über die Systemgrenzen hinweg gemeinsame oder parallele Arbeiten zur Habsburgermonarchie und ihrem so plötzlichen Ende, nunmehr jedoch ohne den politischen Symbolcharakter der Forschung der Sechzigerjahre. So mußte jede Generation und jedes Dezennium erneut die habsburgische Vergangenheit im Lichte oder in der Finsternis ihrer Zeitumstände aufarbeiten und aneignen. Erst in den 1980er Jahren belebte die Mitteleuropa-Diskussion wiederum das Reflektieren über die Habsburgermonarchie. Eine Kontinuitätsbrücke zum nun von Westeuropa ausgehenden europäischen Einigungsprozeß bestand jedoch nicht, so daß die Geschichtsschreibung ein Stück an Rechtfertigungsaufgabe verlor und im Erinnerungsjahr 1988 eigentümlich still blieb. Diese Entpolitisierung des Gedenktages wollte die Tagung 1998 nützen, indem sie ihrerseits die beiden in der geschichtlichen Erfahrung bereits weit auseinander driftenden Einigungsbewegungen, die seinerzeitige habsburgische und die aktuelle europäische, in einen Denkzusammenhang brachte. Nachdenken über Geschichte ist nie zweckfrei, es erfolgt immer, reflektiert oder unbewußt, in Bezug auf die aktuelle Lage. Die geschichtliche Erfahrung der Habsburgermonarchie tritt auf diese Weise in Beziehung zu den heute aktuellen Fragen einer supranationalen Staatenvereinigung der Europäischen Union. Viele Unterschiede und Parallelen ergeben sich aus dem Vergleich. Die Tagung konnte sich nicht mit dem fundamentalen Unterschied zwischen einer von oben, vom Willen des Herrschers ausgehenden Staatenbildung und einer freiwilligen langsamen Angleichung befassen. Die Vertreter der Sprachwissenschaften Gero Fischer und Hermann Bieder sowie der Zeithistoriker Arnold Suppan und die Politologen Manfred Rotter und Menno Spiering konnten jedoch auf die strukturelle Parallele in bezug auf die politische Sprengkraft der Sprachenfrage hinweisen. Tatsächlich 10 Zwitter, Franci: Les problèmes nationaux dans la monarchie des Habsbourg. Beograd 1960. 11 Conférence internationale du 50e anniversaire de la République Tchécoslovaque. Communicati ons. Praha 11.-15. X. 1968. 13