Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)
Pál Pritz: Geschichte des ungarischen auswärtigen Dienstes 1918-1945
Geschichte des ungarischen auswärtigen Dienstes 1918-1945 gen werden - auch ihre zweifelsohne größeren Fachkenntnisse, sowie ihr höheres Sprachwissen erwägend - daß die neue Garde durch sie majorisiert wurde. Nach Ausrufung der Räterepublik wurde das Ministerium zum Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten umgestaltet. An seine Spitze geriet Béla Kun, in seiner Organisation und Zusammensetzung erfolgten aber eine lange Zeit hindurch keine wesentlichen Veränderungen. Ferenc Harrer ging zurück zum Stadtamt, und im Volkskommissariat erschien zusammen mit Béla Kun - wahrscheinlich mit nicht geringer Genugtuung - auch Jözsef Diner-Dénes, der sein früheres Ausscheiden aus dem Dienst - mit Recht oder ohne Recht - Harrer zugeschrieben hatte. Die administrative Leitung geriet aber auch jetzt nicht in die Hände von Diner-Dénes, sondern viel eher in die von Péter Agoston, dem stellvertretenden Volkskommissar, neben dem auch Ivan Prasznovszky wahrscheinlich eine wichtige Rolle zukam. Wegen der gegen Anfang Juli immer kritischer werdenden Lage der Räterepublik entließ Béla Kun die unzuverläßig gewordenen Beamten in Massen, zugleich unternahm er kraftvolle strukturelle Veränderungen im Volkskommissariat, unterzog es einer „Schlankheitskur“. Nach der Niederschlagung der Räterepublik kamen die entlassenen Beamten wieder zurück, und auch solche kamen, die sich dem Dienst der Revolution nicht unterzogen hatten, also nicht „kompromittiert“ waren. Zwischen diesen beiden Beamtengruppen entfaltete sich ein erbitterter - scheinbar prinzipieller, in Wirklichkeit existentieller - Kampf. Eine über sämtliche Staatsbeamten hinwegfegende Revision wurde im Außenministerium zu einer formalen, weil die Durchführung in die Hände solcher Personen gelegt worden war, die im Dienst der Revolutionen gestanden hatten. Die Endsommer- bzw. Herbstmonate wurden noch durch grundlegende Schwierigkeiten - Papiermangel usw. - geprägt. In mehreren Verordnungen wurden überflüssige Gespräche und Gruppenbildungen verboten, und daraus kann gefolgert werden, daß keine regelmäßige Arbeit geleistet wurde: an den Schreibtischen und auf den Korridoren mochte wohl eher die Erwägung der Chancen einer innenpolitischen Entfaltung das wichtigste Gesprächsthema gewesen sein. Bis Mitte Dezember war der neue strukturelle Aufbau des Außenministeriums festgelegt worden, der im Laufe des folgenden Vierteljahrhunderts zwar zahlreiche Veränderungen erlebte, in seinen wesentlichen Zügen aber viel Verwandtes zu den später Erfolgten auswies1. In den zwanziger Jahren stieß der Ausbau des ungarischen auswärtigen Dienstes stets an die Tatsache, daß das auf ein Drittel eingeschrumpfte Land auch den Anteil seiner nun überzähligen früheren Angestellten erhalten mußte, woraus folgte, daß das mit Recht als strategisch wichtig empfundene Portefeuille vielmals sogar in grundlegenden Fragen nicht die wohlbegründete Hilfe erhielt. Den zusammen- 3 3 Pritz 1995, 39-^43, und Iratok a magyar külügyi szolgâlat tôrténetéhez 1918-1945. Az iratokat välo- gatta, szerkesztette és jegyzetekkel ellatta Pritz Pâl. (Dokumente zur Geschichte des ungarischen auswärtigen Dienstes. Die Dokumente wurden ausgewählt, redigiert und mit Anmerkungen versehen von Pal Pritz.) Bp. 1994. Im weiteren: Iratok (Dokumente), Nr. 17. 2