Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)

Pál Pritz: Geschichte des ungarischen auswärtigen Dienstes 1918-1945

GESCHICHTE DES UNGARISCHEN AUSWÄRTIGEN DIENSTES 1918-1945 VON Päl Pritz Über die selbständige ungarische Außenverwaltung verfügte das Volksgesetz Nr. V vom 13. Dezember 1918, welches den auswärtigen Dienst, der bisherigen in­ternationalen Praxis entsprechend, in Außenministerium, diplomatische Vertretun­gen und Konsularämter gliederte. Auch in diesem Volksgesetz war der bereits öf­ters und vielerorts formulierte Standpunkt der Leiter der Revolution vertreten, demgemäß die Beamten ungarischer Staatsbürgerschaft der ehemaligen gemeinsa­men Ministerien und anderer Institutionen - ihrer bisherigen Einstufung und Rang­klasse entsprechend - in den neuen Apparat übernommen oder eine Abfindungs­summe erhalten würden, wenn sie ihren derartigen Wunsch äußern bzw. wenn sie ihren Eid auf die Volksrepublik leisten. Dies war deshalb ein realer Standpunkt, weil in Ungarn zum Außendienst ausgebildete Beamten nicht in genügender Zahl vorhanden waren, dagegen sich im gewesenen gemeinsamen Dienst solche Perso­nen in ausreichender Zahl befunden hatten: 1897 stellten die ungarischen Staats­bürger 26%, 1917 dagegen 32% des gesamten Apparats1. Als Kriegsverlierer hatte Ungarn vor dem Friedensschluß nur wenig Möglichkei­ten offizielle Gesandtschaften zu errichten. Solche konnten nur in dem ehemaligen anderen Teil der Monarchie, sowie diplomatische Vertretungen nur in neutralen Ländern aufgestellt werden. In der Person von Ferenc Harrer wurde der erste Wie­ner Gesandte gefunden, weil er Christ war, früher eine hohe öffentliche Stellung bekleidet hatte - er war Vizebürgermeister von Budapest gewesen - und gute deutsche Sprachkenntnisse besaß. Harrer wurde aber nach etwa drei Wochen zu­rückberufen, da die bis dahin ernannten Leiter des Ministeriums ihrer Aufgabe nicht gerecht wurden. Mit großer Ambition ging Harrer, sich vollkommen der Organisationsarbeit widmend, an die Arbeit. Das ausgebildete Rangschema über­lieferte - mit einigen Abänderungen - die alte Struktur. Dies hervorzuheben ist deshalb wichtig, weil es auch den Mißerfolg der Bestrebungen zur Verschmelzung der drei Bereiche des Dienstes ausdrückt1 2. 44 % der ernannten Beamten des Ministeriums verfügten im Februar 1919 über eine Vergangenheit im gemeinsamen Dienst, und daraus kann die Folgerung gezo­1 Magyar Tôrvénytâr. 1918. évi tôrvénycikkek és néptôrvények. (Ungarische Gesetzessammlung. Ge­setze und Volksgesetze vom Jahr 1918.) Bp. 1919. 204-205 und Pritz Pal: Magyar diplomâcia a két hâboru között. Tunulmänyok. (Ungarische Diplomatie zwischen den zwei Kriegen. Studien.) Bp. 1995. (Im weiteren: Pritz 1995) 38. 2 Harrer, Ferenc: Egy magyar polgâr élete. (Leben eines ungarischen Bürgers.) Bp. 1968, 357-360, 363-375, 379-382. 1

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