Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)

Imre Ress: Der Weg zum Badener Abkommen (Teilung oder Aufbewahrung des Archiverbes der Monarchie)

Der Weg zum Badener Abkommen k.u.k. staatlichem Eigentum als auch an den aus den Hof- und Familiensammlun- gen des Herrscherhauses hervorgegangenen musealen Institutionen gefolgert. Da diese Mantelnote von Österreich als nicht verbindlich betrachtet wurde, bestand man österreichischerseits streng auf das Vertragstext, in dem keine Erwähnung über die Rechte Ungarns auf das in Österreich befindlichen ehemals gemeinsamen Eigentum getan wurde10 11. Trotz dieser prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten war es vor allem doch im Archivbereich zu erwarten, daß eine österreichische-ungarische Vereinbarung zu­standekommt. Nach der Unterzeichnung der ungarischen Friedensvertrages wur­den die ungarische Ansprüche auf das in Österreich befindliche ungarische kultu­relle Eigentum angemeldet. Gleichzeitig wurde auch signalisiert, daß Ungarn seine Rechte maßvoll und gerecht verfolgen will. Im Sommer 1920 machte die ungarische Regierung seinen Standpunkt durch eine diplomatische Note bekannt, die archivalische Auseinandersetzung mit Österreich mit der weitgehenden Respektie­rung des Provenienzprinzips abwickeln zu wollen11. Zugleich erklärte sie sich be­reit, den größten Teil des Archivgutes, daß als ungarisches patrimoine intellektuell galt, in den Wiener Archiven zu lassen, wenn das Miteigentumrecht Ungarn daran anerkannt wird. Als Bedingung wurde ein Sechspunkte-Programm gestellt: 1. Österreich sollte die Vollständigkeit, die Unversehrtheit und der Konservie­rung der gemeinsamen Bestände garantieren, 2. zur Betreuung der gemeinsamen Bestände werden ungarische Fachorgane in der entsprechenden Archivanstalten delegiert, 3. die Ordnungsarbeiten der gemeinsamen Bestände sollten nach Anhörung der ungarischen Delegierten durchgeführt werden, 4. die Vorlegen der Archivalien der gemeinsamen Bestände an ungarischen For­schern und deren wissenschaftlichen Beratung geschiet durch die Mitwirkung der ungarischen Delegierten, 5. die ungarische Forscher werden mit den österreichischen gleich behandelt, 6. die Sperrfrist wird im Einverständnisse der ungarischen Delegierten erfolgen12. Obwohl diese ungarische Vorstellungen aus archivarischer Sicht annehmbar waren, wirkten die finanziellen Interessen und die außenpolitischen Überlegungen der österreichischen Regierung einer baldigen archivalischen Vereinbarung mit Ungarn entgegen. Die österreichische Regierung wollte nämlich das ungarische Miteigentumrecht prinzipiell nicht anerkennen, damit keine Präjudiz entsteht, wo­mit Ungarn seine ähnlichen Prätensionen auf Museen, Krongüter und das Vermö­gen des Herrscherhauses untermauern könnte. Deshalb wurde eine vorgreifliche Stellungnahme über das gemeinsame Eigentum auch in den archivalischen Fragen sorgsam vermieden und die jegliche Mitwirkung der ungarischen Archivare an der Verwaltung der ehemals gemeinsamen Archive trotz der Proteste der ungarischen 10 W1 assies Gyula: A kultürâlis javak a trianoni szerzodésben [Die Kulturgüter im Vertrag von Trianon]. In: Békejog és Békegazdasâg. 1 (1922)/4, 97-106. 11 Ungarische Verbalnote vom 15 Juli 1920. HHStA Wien, Kurrentakten, Nr. 1920-888. 12 Az osztrak-magyar közös (âllami, udvari stb) gyüjtemények, intézetek és a magyar jogigények. (Elabo- jat von Àrpâd Kârolyi, Wien 4 Juni 1920.) MOL Budaest, Y 1 Direktonsakten, Karton 214. 18

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