Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)
Imre Ress: Der Weg zum Badener Abkommen (Teilung oder Aufbewahrung des Archiverbes der Monarchie)
Imre Ress Regierung abgelehnt13. Zur Aufschiebung eines Archivabkommens mit Ungarn trugen auch die außenpolitische Überlegungen wesentlich bei. Die Nachfolgestaaten zeigten nämlich eine bestimmte Bereitschaft nach der Erfüllung ihrer Forderungen das österreichische Alleineigentum an den Archiven und Musealgüter gegenüber Ungarn anzuerkennen. Die ablehnende Haltung der östreichischen Diplomatie wurde durch die Römer Konferenzen in den Jahren 1921-22 den ungarischen Archivforderungen gegenüber bekräftigt. In Rom wurde ein multilaterales Rahmenabkommen zur Regelung der Archivfragen der Nachfolgestaaten vereinbart, worin weder das Miteigentumrecht an Archiven noch das gemeinsame geistige Eigentum der Archive Eingang fand. Das hatte dann zur Folge, da es bei den bilateralen archivalischen Verhandlungen, die Österreich mit den Nachfolgestaaten Tschechoslowakei, Rumänien und dem SHS-Königreich geführt hatte, das Miteigentumsrecht Ungarns nicht berücksichtigt wurde. Die erwähnten Nachfolgestaaten, die wesentlichen territorialen Gewinne auf Kosten Ungarns aufwiesen, waren an der Verhandlungen bestrebt, den Begriff des ungarischen geistigen Eigentums im Archivbereich auf das neue ungarische Staatsgebiet zu begrenzen und die Aus- folgung solcher Archive ungarischer Provenienz aus Wien an Ungarn vertragsmäßig zu verhindern, in denen auch Betreffe, die sich auf die abgetretenen ungarischen Territorien bezogen, vorhanden waren. Solche Bestrebungen waren auch für Österreich in machen Fällen nicht ungelegen und konnten als Pressionsmittel verwendet werden, um die eventuell übertriebene ungarischen Forderungen zu bremsen14. Doch das österreichische Entgegenkommen und solche Verpflichtungen, die Bestände mit territorial gemischten Betreffe an Ungarn nicht abzugeben, genügten in den meisten Fällen beim weiten nicht, um die organische Einheit der Wiener Archive verteidigen zu können. Vor allem enthielt das im Mai 1920 in Prag mit der Tschechoslowakei geschlossene Archivabkommen solche Bestimmungen, die weit über die in St. Germain festgesetzten Bedingungen hinausgingen und mit den schwersten Verstößen gegen das Provenienziensprizip die Wiener Archive regelrecht lichteten15. In diesem Abkommen, der unter der Drohung mit der Abstellung der für Wien lebenswichtigen tschechischen Zucker- und Kohlenlieferungen unterzeichnet wurde, mußten Be13 Ungarische Verbalnote vom 7 Oktober 1920. HHStA Wien, AAB Nr. 1920-221. Weitere Protestnoten vom 5 Dezember 1921 und 3 März 1922. Nr. 1922-37. 14 Resume einer interministerrielen Besprechung über das Sonderarchivabkommen mit Rumänien und das römische allgemeine Rahmenübereinkommen in Archivfragen, Wien 21 Juni 1921. HHStA Wien, AAB. Nr. 1921-79. Beilage 18. — Von ungarischer Seite schlug Ärpäd Kärolyi vor, die Ratifizierung der Beschlüsse der Römer Konferenzen wegen der Nichtanerkennung des Miteigetumrechtes abzulehnen. Kärolyi an Botschaftsrat Béla Procopius, Wien, 16 Juni 1922. MOL Budapest, Y 1 Direktionsakten Karton 214. 15 Neck Rudof: Kulturelle Bestimmungen des Statsavertrags von St Germain, in: Saint-Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. u. 30. Mai 1979 in Wien. Wissenschaftliche Kommission der Geschichte der Republik Österreich. Veröffentlichungen Band 11. Hrsg, von Isabella Ackerl und Rudolf Neck. S. 350-356. Hummelberger Walter: Das österreichisch-tschechoslowakische Archivübereinkommen vom 18 Mai 1920. in: Scrinium, Heft 34. Jg. 1984. S. 43-53. Für den tschechischen Standpunkt: Samberger Zdenek: K archivm restituci s Rakouskem po roce 1918. In: Prâvnëhisto- rické Studie, Jg. 33. Praha, 1993, S. 117-138. 19