Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)

Imre Ress: Der Weg zum Badener Abkommen (Teilung oder Aufbewahrung des Archiverbes der Monarchie)

Imre Ress wollten die ungarischen Archivare durch die Mitwirkung der ungarischen Friedens­delegation erreichen, daß entweder die Umwandlung der Wiener Archive zum Eigentum sämtlicher Nachfolgestaaten oder Miteigentumrecht Ungarns daran in den ungarischen Friedensvertrag aufgenommen wird9. Nachdem der österreichi­sche Friedensvertrag schon unterzeichnet war, war die Durchsetzung solcher Vor­stellungen äußerst schwierig und völkerrechtlich kaum denkbar. Eine völkerrecht­lich wiedersprüchliche Situation ist nämlich dadurch entstanden, daß im österreichi­schen Friedensvertrag nur über die Anteile der zerfallenen Monarchie verfügt wurde, die in den ausschließlichen Besitz der Republik Österreich geraten sind, und nur die Rechte der mit den alliierten und asssoziierten Mächten verbündeten Nachfolgestaaten wurden an dem gemeinsamen Eigentum anerkannt. Das bedeu­tete soviel, daß die Aufteilung des gemeinsamen Eigentums nur zwischen einem Rechtsnachfolger der Monarchie und der Nachfolgestaaten stattfand, ohne daß dem anderen Rechtsnachfolger sein Anteil zugesprochen worden wäre. Die Pariser Friedenskonferenz setzte sich zur Aufgabe, mit den beiden Rechtsnachfolgern der Monarchie Frieden zu schließen, doch wollte sie die sämtlichen Fragen und schwe­benden Angelegenheiten, die mit der Auflösung des Staatsverbandes zwischen den beiden früher feindlichen Staaten entstanden sind, nicht regeln. Es stand doch außer Zweifel, daß Ungarn als Rechtsnachfolger mit gleicher Vehemenz wie die Nachfol­gestaaten aus den Archiven der gemeinsamen Behörden und der ehemaligen kaiserlichen Sammlungen die Ausfolgung des ungarischen kulturellen Eigentums fordern wird. Über die Aufteilung oder die unversehrte Behaltung der ehemals ge­meinsamen Archive und Sammlungen wurden in Paris letzendlich keine eindeu­tigen Maßnamen getroffen. Doch wurde Wien und Budapest aufgefordert in diesen Fragen ein freundschaftliches Übereinkommen zu erreichen. Die Pariser Friedens­stifter wollten das Zustandekommen solcher Vereinbarungen damit fördern, daß sie auf das Verlangen der ungarischen Friedensdelegation im Namen der alliierten und assoziierten Mächte zur Auslegung des betreffenden Artikels 191 des Staats­vertrags von Trianon eine Mantelnote hinzufügten, mit der das gemeinsame und noch ungeteilte Eigentum des neuen Österreichs und neuen Ungarns definiert wurde. Nach dieser Note wurde alles zum gemeinsamen österreichisch-ungarischen Eigentum erklärt, was im Besitze der ehemaligen Monarchie, der Krone und des Herrscherhauses war, wenn sich diese Güter auf dem Gebiete der beiden Staaten befanden. So wurde das Miteigentumsrecht Ungarns an der Ganzheit des ehemals gemeinsamen Eigentums der Monarchie in Paris zwar formell anerkannt, doch wurde kein eindeutiger Rechtsgrund geschaffen, damit die effektive Teilhaber­schaft Ungarns auch an dem auf österreichischen Boden befindlichen ehemals ge­meinsamen Eigentum, dem auch die Archive zugeordnet waren, zur Geltung kom­men konnte. Aus der Mantelnote zur Auslegung des Artikels 191 des Staatsvertra­ges von Trianon hatte Ungarn ein Miteigentumrecht sowohl an dem allen ehemals 9 Elaborat von Ärpäd Karo ly i über die Behandlung der ehemals gemeisamer Archive an der Friedens- konferenz, Wien 9. Oktober 1919 MOL Budapest, Y 1 Direktionsakten Karton 214. bzw. HHStA Wien, AAB. Nr. 1919-176. 17

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