Sonderband 3. „wir aber aus unsern vorhero sehr erschöpfften camergeföllen nicht hernemben khönnen…” – Beiträge zur österreichischen Wirtschafts- und Finanzgeschichte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (1997)

Helmut Fiereder: Österreichische Wirtschaftsplanung nach 1945

Österreichische Wirtschaftsplanung nach 1945 In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre haften volkswirtschaftliche Gesamtplanun­gen weltweit Hochkonjunktur. Auch große Staaten mit ausgeprägt kapitalistischer Wirtschaftsordnung machten dabei keine Ausnahme. Man versuchte, Wirtschafts­pläne mit mehrjähriger Laufzeit einzufiihren, wenigstens als Rahmenpläne für Ba­sissektoren, darunter vor allem für die Schwerindustrie. Auf internationaler Ebene können wenigstens drei bestimmende Ursachen dieser Planungskonjunktur festgehal­ten werden: Zum ersten hatten Weltwirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg Europäer wie Amerikaner zu strikter Reglementierung ihrer Volkswirtschaften gezwungen; damit war nun aber auch die vor allem in Ländern mit traditionell liberaler Wirtschafts­ordnung stets vorhandene starke Abneigung gegen staatliche Wirtschaftsplanung erheblich gemindert4 5. Zweitens galt es, die während des Krieges in Europa fast völlig ausgesetzten In­vestitionen so schnell wie irgend möglich nachzuholen. Und hier war eben in beson­derem Maße die Schwerindustrie betroffen. Gerade dieser Sektor war, bei Unterlas­sung aller erforderlichen Ersatzinvestitionen, im Kriege in außergewöhnlicher Weise angespannt worden. Gleichzeitig boten solche Investitionen den europäischen Indu­strienationen die Chance, ihre montanindustriellen Unternehmungen an das viel höhere technologische Niveau der amerikanischen heranzufiihren3. Drittens waren die europäischen Volkswirtschaften durch den Zweiten Weltkrieg schwer in Mitlei­denschaft gezogen. In Mitteleuropa kam das Wirtschaftsleben bei Kriegsende zum Stillstand. Dieser totale Zusammenbruch ließ auch entschieden liberale Wirtschafts­theoretiker nach staatlichen Wirtschaftsplänen rufen, wenigstens in Form von Rah­menplänen für die Grundstoffindustrie und für eine mittelfristige Übergangsperiode6. Zu diesen in ganz Europa und den USA zu beobachtenden Motiven für staatliche Wirtschaftsplanungen traten im Falle Österreichs noch weitere, die aus der spezifi­schen Lage des Landes nach der Befreiung von der NS-Herrschaft resultierten. Wäh­rend der NS-Ära wurde die österreichische Industrie einem grundlegenden Wandel unterworfen, sowohl hinsichtlich ihrer Struktur als auch ihrer Standorte. Vor 1938 ausgelöst haben. Auf diese von der Eisenhüttenindustrie ausgelösten Effekte wird seit Jahrzehnten immer wieder verwiesen. Siehe etwa Die Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Ein Bericht der Stahltreuhändervereinigung. München-Berlin 1954, S. 26. 4 Entscheidend war hier wohl auch die Politik des New-Deal in den USA; als Beispiel für die US-Forschung dazu Hogan, Michael J.: The Marschall Plan. America, Britain, and the Reconstruction of Western Eu­rope, 1947-1952. 2. Aufl. Cambridge (Mass.) 1989. 5 Für den Vergleich der Montanindustrie in Europa und den USA (von etwa 1919 bis 1949) United Nations, Department of Economic Affairs : European Steel Trends in the Setting of the World Market. Genf 1949. 6 Die Lage in einer der am meisten von den Kriegsfolgen betroffenen Region Mitteleuropas untersuchen Petzina, Dietmar und Euchner, Walter (Hrsg.): Wirtschaftspolitik im britischen Besatzungsgebiet 1945-1949. Düsseldorf 1984. Die wohl wichtigste Ausnahme im Lager der liberalen Wirtschaftswissenschaft war Ludwig Erhard, der sich a priori gegen staatliche Intervention wandte und seine Politik auch gegen die US/UK Militärregie­rungen in Deutschland durchsetzte. 193

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