Sonderband 3. „wir aber aus unsern vorhero sehr erschöpfften camergeföllen nicht hernemben khönnen…” – Beiträge zur österreichischen Wirtschafts- und Finanzgeschichte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (1997)

Helmut Fiereder: Österreichische Wirtschaftsplanung nach 1945

Helmut Fiereder schneller zu erreichen, als dies ohne die US-Hilfen möglich gewesen wäre. Das ERP sei aber weder auslösendes Moment der wirtschaftlichen Erholung noch Vorausset­zung der Modernisierungsvorhaben gewesen, und die Ernährung der westeuropäi­schen Bevölkerung hätte ebenfalls nicht vom ERP abgehangen. Im Gegensatz zu dieser Ansicht trug in Österreich der Marshallplan hingegen bis zum Ende der 1940er Jahre ganz die Züge eines ausgesprochenen Notstandsprogramms. Eingeführt wurden vor allem Nahrungsmittel, fossile (mineralische) Brennstoffe, etc. Erst all­mählich, etwa ab 1950, verschob sich dann der Schwerpunkt hin zu Investitionsgü­tern, namentlich auch für die Eisenhüttenindustrie. Man kann somit von der An­nahme ausgehen, daß Österreich, im Vergleich zu den anderen Teilnehmerstaaten (ausgenommen Westdeutschland), eine Sonderstellung innerhalb des ERP einnahm, weil das Programm für die Ernährung des Landes bis 1949 ebenso unverzichtbar war wie für die ab 1950 getätigten Investitionen. Die heimische Historiographie hat bis­her vor allem politische, administrative und kulturelle Aspekte des Marshallplans in Österreich (sowie seiner Vorläufer) untersucht. Der im vorliegenden Beitrag angesprochenen Problematik widmete man hingegen nur geringe Aufmerksamkeit. Arbeiten zu den mikro- wie auch makroökonomischen Dimensionen des Programms sind bislang eher die Ausnahme. Nahezu unbeachtet blieben die dem ERP vorausgehenden nationalen Wirtschaftspläne. Damit befindet sich die österreichische Forschung im Gegensatz zur internationalen, die seit Jahr­zehnten den Wirtschaftsplanungen nach 1945, gesondert für den Basissektor Mon­tanindustrie, hohes Augenmerk gibt. Dies ist nicht erstaunlich, standen doch am Beginn der europäischen Einigungsbestrebungen Schuman-Plan und Montanunion. Zwar wird heute, im Zeitalter der Informationstechnologien, die Stellung der Mon­tanindustrie als Basisindustrie gerne relativiert2. Dieser gmndsätzlich richtig erkann­te ökonomische Bedeutungsverlust kann aber für die Forschung nicht Anlaß sein, den zentralen Stellenwert der Schwerindustrie im Kontext des wirtschaftlichen Ge­schehens der Nachkriegsära nicht oder nur eingeschränkt zur Kenntnis zu nehmen3. 2 Zum internationalen Forschungsstand vgl. Hard ach, Gerd: Der Marshall-Plan. Auslandshilfe und Wiederaufbau in Westdeutschland 1948-1952. München 1994; Maier, Charles S. und Bischof, Günter (Hrsg.): The Marshall Plan and Gennany. West German Development within the Framework of the European Recovery Program. New York 1991; Herbst, Ludolf, Bührer, Werner und Sowade, Hanno (Hrsg.): Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt. München 1990. Eigene Forschungsvorhaben zur Vorgeschichte der europäischen Einigung legte auch die EG-Kommission vor: Schwabe, Klaus (Hrsg.): Die Anfänge des Schuman-Plans. 1950/51. The Beginnings of the Schuman-Plan. Baden-Baden 1988. Zur österreichischen Forschung die bereits 1990 vorgelegte, kenntnisreiche Darstellung von Bischof, Günter: Der Marshallplan und Öster­reich. Literaturbericht. In: Zeitgeschichte 17 (1990), S. 463-474. Bischof referiert vor allem politisch­wirtschaftliche Aspekte der Forschung. Zum kulturellen Einfluß der USA Wagnleitner, Reinhold: Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Welt­krieg. Wien 1991. 3 Ein Beispiel möge die Bedeutung der eisenschaffenden Industrie zu Beginn der 1950er Jalire illustrieren: Für die Bundesrepublik Deutschland wurde das Mitarbeiterverhältnis der eisenschaffenden zur eisenverar­beitenden Industrie um 1950 mit 1 zu 10 angenommen. Dieses Verhältnis galt aufgrund des großen Halb­zeugexports ftir Österreich sicher nicht. Dennoch muß alleine die Zunahme der Mitarbeiter der Linzer VÖEST von etwa 8 000 im Jahr 1950 auf 18 000 im Jahr 1960 einen beachtlichen Beschäfligungsimpuls 192

Next

/
Thumbnails
Contents