Sonderband 3. „wir aber aus unsern vorhero sehr erschöpfften camergeföllen nicht hernemben khönnen…” – Beiträge zur österreichischen Wirtschafts- und Finanzgeschichte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (1997)
Gertrude Enderle-Burcel: Zwischen Kontinuität und Wandel: Die österreichisch-tschechoslowakischen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg
(jertrude Enderle-Burcel duktionsunternehmungen gekommen86. Trotz dieser Verhandlungserfolge für die Tschechoslowakei kam es nur zu Einzellieferungen, aber nicht zum Abschluß eines neuen Vertrages. Die Verhandlungssituation wurde umso schwieriger, als es im tschechoslowakischen Ministerrat wieder zu Klagen über österreichische Behinderungen im Paket-Postverkehr und im Transitverkehr kam. Ebenso wurde die noch immer ausständige Regelung der alten Schulden und Forderungen sowie die Kennzeichnung der Vorkriegsrenten bemängelt. Der Ministerrat hatte daher beschlossen, daß vor der Einigung in der Staatsschuldenfrage, nicht einmal verhandelt werden dürfte87. Von den zuständigen österreichischen Ministerien wurden die Beschuldigungen wegen Verkehrsbehinderungen als „erfunden und erlogen“ bezeichnet. Während man bei den Vorkriegsschulden zu dem Schluß kam, „daß man die Belieferung Österreichs mit Zucker als Druckmittel benützen wolle, um die Durchführung einer Bestimmung des Friedensvertrages in einem der tschechoslowakischen Regierung genehmen Sinne zu erzwingen“88. Im November 1920 wurde Österreich schließlich ein äußerst ungünstiges Zuckeroffert angeboten, daß aber angenommen werden mußte89. Am 26. November 1920 war es auch zu einem Ministerratsbeschluß gekommen, durch den das Junktim mit den Finanzverhandlungen fallen gelassen worden war und damit die bedingungslose Freigabe des Zuckers ermöglicht wurde90. Die Zuckerlieferungen wurden schließlich erst mit den Verträgen vom 17. Februar 1921, 22. Februar 1921 und 10. März 1921 gesichert, durch die auch der strittige und ungünstige Novembervertrag aus dem Jahre 1920 gegenstandslos geworden war. Die Tschechoslowakei hatte zu diesem Zeitpunkt zwar das Junktim Zucker/Kohle mit finanzpolitischen Forderungen aufgegeben, doch nahmen die Handelsvertragsverhandlungen, bzw. die Inkraftsetzung des österreichisch-tschechoslowakischen Handelsvertrages einen ähnlichen Verlauf. 86 AdR Wien, BKA/AA, Abt. 14 HP, Karton 705, Deutschösterreichisches Staatsamt für Äußeres, ZI. 53.437/10-5.031/1920, Zuckerlieferungen aus der Tschechoslowakei, 2.September 1920. 87 AdR Wien, BKA/AA, Abt. 14 HP, Karton 705, Deutschösterreichisches Staatsamt fur Äußeres, ZI. 68.107/10-6.457/1920, Zuckerverhandlungen mit der Tschechoslowakei, 8. November 1920. 88 Ebenda, Deutschösterreichisches Staatsamt für Äußeres, ZI. 66.958/10-6.181/1920, Zuckerverhandlungen mit der Tschechoslowakei, 13. November 1920. 89 Ebenda, Deutschösterreichisches Staatsamt für Äußeres, ZI. 68.107/10-6.457/1920, Zuckerverhandlungen mit der Tschechoslowakei, 19. November 1920; ZI. 69.510/10-6.337/1920, Zucker- und Finanzverhandlungen, 22. November 1920. 90 Ebenda, Deutschösterreichisches Staatsamt für Äußeres, ZI. 73.165/10-6.736/1920, Zuckerverhandlungen mit der Tschechoslowakei, 3. Dezember 1920. 190