Sonderband 3. „wir aber aus unsern vorhero sehr erschöpfften camergeföllen nicht hernemben khönnen…” – Beiträge zur österreichischen Wirtschafts- und Finanzgeschichte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (1997)

Gertrude Enderle-Burcel: Zwischen Kontinuität und Wandel: Die österreichisch-tschechoslowakischen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg

Die österreichisch-tschechoslowakischen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg zugerechnet wurden, sowie die Versuche, aus Österreich „herauszupressen, was überhaupt nur möglich war“. Es wurde österreichischerseits ein „offensichtlicher Gegensatz zwischen den untergeordneten Regierungsorganen und den leitenden Männern hinsichtlich der Gestaltung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten“ konstatiert74. Unmittelbare Folge der Jännervereinbarungen waren Kompensationsverhandlun­gen von 30. Jänner - 9. Februar 1920, die österreichische Lieferungen von Eisener­zen, Ferrosilizium, Alteisen, Telephon- und Telegraphenmaterial, Metallen, Harz, Salpetersäure, Glasscherben, Fichtenrinde, Holz, Sachdemobilisierungs- und Liqui- dierungsgütem, Produkten für den Eisenbahnbedarf und Bergwerksbedarf sowie Glühlampen für tschechoslowakische Kohle vorsahen75. Unabhängig von den Verhandlungen auf staatlicher Ebene hatten aber eine Reihe von österreichischen Firmen Kohlenlieferungen auf Grund von Separatabkommen bekommen. In der tschechoslowakischen Öffentlichkeit blieben diese Lieferungen, hauptsächlich für die österreichische Maschinenindustrie, nicht unumstritten, ob­wohl die österreichischen Firmen dafür von der Tschechoslowakei benötigte Ma­schinenbestandteile lieferten76. Im Dezember 1920 war es noch einmal zu größeren Verhandlungsschwierigkeiten gekommen. Weitere Kohlelieferungen wurden von der Unterzeichnung eines für Österreich äußerst ungünstigen Zuckervertrages abhängig gemacht. Der tschecho­slowakische Handelsminister Rudolf Hotowetz drohte sogar mit Zollkrieg, wenn Österreich auf seinem ablehnenden Standpunkt in der Zuckerfrage beharre77. 1921 hatte sich die Situation aber soweit gebessert, daß es im Mai 1921 zu einer Lockerung in der staatlichen Kohlenbewirtschaftung gekommen war, wobei aller­dings die Industriekohle nach wie vor einer Kontrolle durch das tschechoslowakische Arbeitsministerium unterlag78. Bestehende Nachteile bei den Gütertarifen der tsche­choslowakischen Staatsbahnen zu ungunsten österreichischer Bestimmungsorte bei 74 AdR Wien, Deutschösterreichisches Staatsamt fur Handel und Gewerbe, Karton 2949, ZI. 2.964/1920, Kompensationsverhandlungen mit der tschecho-slovakischen Republik; Kohle gegen Rohstoffe und Indu­strieerzeugnisse, 21. Februar 1920. 75 AdR Wien, Deutschösterreichisches Staatsamt für Handel und Gewerbe, Karton 2949 (wie Anm. 74); vgl. weiters AdR Wien, Deutschösterreichisches Staatsamt für Handel und Gewerbe, Karton 2953, ZI. 4.132/1920, Vorbereitung der tschechischen Kompensationsverhandlungen, 9. März 1920; Karton 2955, ZI. 5.739/1920, Vertrag mit der Tschechoslowakischen Regierung, betreffend Sensen und Sicheln gegen Kohle, 15. März 1920; Karton 2959, ZI. 7.302/1920, Kompensationsvertrag mit der tschechoslowaki­schen Regierung wegen Ausfuhr von Glühlampen vom 28. Februar 1920, 30. März 1920; Karton 2972, ZI. 13.391/1920, Festsetzung der Preise für die auf Grund der Kompensationsverhandlungen vom 30. Jänner bis 9. Februar 1920 nach der Tschechoslowakei zu liefernde Fichtenrinden, 11. Juni 1920. 76 AdR Wien, BKA/AA, Abt. 14 HP, Karton 705, Deutschösterreichisches Staatsamt für Äußeres, ZI. 17.552/1920, Kohlenbezüge aus Tschechoslowakien, 24. März 1920. 77 Ebenda, Deutschösterreichisches Staatsamt für Äußeres, ZI. 74.851/1920, Telegramm Mareks aus Prag vom 11. Dezember 1920. 78 Ebenda, Deutschösterreichisches Staatsamt für Äußeres, Österreichisches Bundesministerium für Äußeres, ZI. 33.731/1921, Neuregelung der Kohlenwirtschaft, 30. Mai 1921. 187

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