Sonderband 3. „wir aber aus unsern vorhero sehr erschöpfften camergeföllen nicht hernemben khönnen…” – Beiträge zur österreichischen Wirtschafts- und Finanzgeschichte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (1997)

Gertrude Enderle-Burcel: Zwischen Kontinuität und Wandel: Die österreichisch-tschechoslowakischen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg

Gertrude Enderle-Burcel offiziell und konnte jederzeit abgeändert werden. Selbst generell zur Ausfuhr bewil­ligte Warengattungen - wie etwa Hopfen - wurden zumindest gegenüber Österreich zum Gegenstand von Kompensationsverhandlungen gemacht47 *. Zur Handhabung der komplizierten Bewilligungsverfahren wurde bei der tschechoslowakischen Gesandt­schaft in Wien eine Informationskanzlei errichtet43. Am 12. März 1919 kam es zwischen der tschechoslowakischen Kommission in Prag und dem deutschösterreichischen Warenverkehrsbüro zu einem ersten umfang­reicheren Kompensationsübereinkommen, das eine Reihe von Warentauschgeschäf­ten genauestens regelte, das aber-wie schwere Differenzen Mitte 1920 zeigten - von beiden Seiten nicht eingehalten wurde. Gerade an Hand dieses Übereinkom­mens zeigte sich aber exemplarisch die Verknüpfung von politischen Forderungen und wirtschaftlichen Interessen. Die verschiedenen Punkte des Übereinkommens zeigen aber auch jene Probleme im bilateralen Verkehr, die für den österreichisch­tschechoslowakischen Warenaustausch von Bedeutung waren. Fünf Beilagen und verschiedene Anhänge brachten genauere Spezifizierungen der Bestimmungen des zweisprachigen umfangreichen Vertragswerkes49. Der Vertrag wurde zwar nach einem halben Jahr gekündigt, doch wurde in einem Schriftwechsel zwischen dem tschechoslowakischen Kontrollamt und dem deutschösterreichischen Warenver­kehrsbüro im November und Dezember 1919 zugesichert, daß die weitere Erfüllung noch bestehender Verpflichtungen trotz Kündigung erfolgen werde. Der unsichere Rechtszustand wurde aber im März 1920 von beiden Seiten zum Anlaß genommen, um sich von lästigen Lieferungsverpflichtungen zu befreien, wobei Österreich von der Tschechoslowakei mit der Einstellung von Zuckerliefcrungen unter Druck ge­setzt wurde und in ernste Schwierigkeiten geriet. Bereits im November 1918 hatte der tschechoslowakische Staat ein Gesetz erlas­sen, wonach die gesamte Zuckerbewirtschaftung durch eine in Prag errichtete Zuk- kerzentrale geführt wurde50. Der neue tschechoslowakische Staat verwaltete damit 92 Prozent der Zuckererzeugung der ehemaligen Monarchie, die sich großteils in den deutsch besiedelten Gebieten befand51. Ziel der staatlichen Bewirtschaftung war die Erzielung von hohen Ausfuhrgewinnen für den Staat, wobei die Rübenbauern und Zuckerindustriellen ausgeschlossen wurden52. AdR Wien, Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten, Abteilung 14 Handelspolitik (in Hinkunft BKA/AA, Abt. 14 HP), Karton 64, ZI. II1-2.134/10/1919, Liste der generellen Aus- und Einfuhrbewilli­gungen des tschechoslowakischen Staates. AdR Wien, BKA/AA, Abt. 14 HP, Karton 64, ZI. III-435/10/1919, Organisation der tschechoslowaki­schen Export- und Importkommission, 30. Jänner 1919. AdR Wien, BKA/AA, Abt. 14 HP, Karton 64, ZI. 1II-4.206/1919, Ratifizierung des tschechoslowakischen Kompensationsübereinkommens, 7. April 1919. AdR Wien, 24. Sitzung des Staatsrates vom 8. November 1918, S. 2. Slavik: Der Außenhandel, S. 9. Horak, Wilhelm: Die wirtschaftliche Entwicklung der Tschechoslowakei unter besonderer Be­rücksichtigung der Grundlage für einen Warenverkehr mit Österreich. Diss. Wien 1941, S. 61. 182

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