Katholischen Gymnasium, Schemnitz, 1854
9 4. Eine bedeutende Stellung unter den Bildungsmittcln des Gymnasiums- nimmt auch die Weltgeschichte und die mit ihr stets gleichen Schritt gebende Erdkunde ein. Durch diesen Unterricht, wenn er nicht ein bloßes Gedächtnißwerk, eine bloße Anhäufung von Namen, Zahlen und Tharen ist, sondern eine der Fassungskraft des jugendlichen Alters angemessene Darstellung der merkwürdigeren Weltbegebenhciten nach ihren Gründen und llrsachen sein soll, wird dem Schüler nicht nur eine reiche Quelle von wichtigen Kenntnißen eröffnet, sondern auch sein Gefühl für das Gute und Edle angeregt, seine moralische Kraft und Tugend gestärkt, und was das Vorzüglichste ist, ihm Gelegenheit dargeboten, zur Lebensklugheit gelangen zu können. Denn nach den vorausgeschickten nöthigen Vorkenntnißen des Erdkreises wird der Zögling auf den Boden der Vergangenheit zurückgeführt, um zu sehen, auf welche Weise die gesellschaftlichen Verhältnisse des menschlichen Geschlechtes die Gestalt erlangt haben, in der sie uns jetzt erscheinen, aus welchem Keime sie hervorgegangen, wie sie gewachsen sind, und- wetchen Gang ihre Entwicklung genommen hat. Indem der Schüler somit die einzelnen Völker mit ihren sittlichen, geistigen und politischen Richtungen betrachtet, gewinnt er Einsicht in die inneren Verhältnisse und Ursachen des vergrößerten oder verminderten Aufblühens der Staaten, erlangt eine allgemeine Übersicht von den äußern Formen der Staatsverfassungen und Gesetzgebungen, von dem Ursprünge, Verbreitung und Emporblühen der Religion, Künste und Wissenschaften, von den Landesprodukten und Gewerben, woraus er bedeutende Vortheile zur richtigen Betreibung der übrigen Lehrzweige zu schöpfen und reichhaltigen Stoff zur nützlichen Übung des Scharfsinnes sich zu sammeln vermag. Da er von den Landkarten die mächtigsten Staatskörper im Verlaufe der Zeit schwinden, andere aber emporblühen siebt, wird er gewahr, wie veränderlich die Schicksale der Volker seien, wie wenig bloße Macht, Gold und Schätze die Menschen glücklich machen können, und daß das wahre dauerhafte Glück einzelner Personen sowohl, als ganzer Königreiche von Tugend und Weisheit abbänge. Für jedes Lebcns- verbältniß findet der Schüler in den Vorgängen der Vergangenheit vortreffliche Beispiele, die geeignet sind, ibm auf seiner künftigen Lebensbahn als Führer und Muster zu dienen, ihn im Mißgeschicke zu erheben, ihm bei der schwierigen Pflichterfüllung Muth und Vertrauen einzuflößen und zu edlen hochherzigen Thaten zu begeistern. An dem Faden der Geschichte merkt er, wie zur Ausführung größerer Ereigniße und Veränderungen oft hundertjährige Vorbereitungen und Voranstatten getroffen wurden; wie oft manche Begebenheiten einen ganz andern Ausgang erhielten, als sie nach menschlicher Berechnung erwarten ließen; wie oft Frevelrba- ten und Unglücksfälle gleichsam den Grund legten, aus dem die Alles zum Besten des Ganzen unsichtbar leitende Hand Gottes die herrlichsten und nützlichsten Einrichtungen hervorgehen ließ; wie das Gute, in das Feld der Zeit ausgesäet, wenn auch zuweilen spät, doch endlich die gewünschten Früchte gebracht, während das Böse, obgleich für eine Zeit nicht selten im Vortheile gewesen, doch nicht unge- rächt geblieben sei. Solche und dergleichen Wahrnehmungen beleben und befestigen in ihm die Überzeugung von einer weisen, gerechten und gütigen Vorsehung 2