Király Nina - Török Margit: PQ '95. Magyar színpad - kép - írók (Budapest, 1995)

A változás színháza 1991 - 1995

Metapher des Wartens und der Illusionen Ist kein trockenes Theoretisieren. Die zwei Hauptdarsteller sagen nicht den obligatorischen Beckett-Katekismus vor. Sie wollen keine Philisophie, sondern das Leben darstellen, zwei Chlochards auf dem Mistablagerungs­platz Unterwegs maskieren sie sich zu Clowns. Der eine in einer russischen Klappmütze, der andere in einem langen schwarzen Mantel. Sie bekleiden sich von ihren geschichtlichen Erinnerungen. Der Mistab­lagerungsplatz ist auch ein Haufen der Requisiten der Vergangenheit. Ein Trabantwrack, Kopfpiaster, uner­kennbares Wandgeschreibe auf dem Horizont über der nirgends existierenden Landstrasse Auf dem Bühnenbild schichten sich die ausgeworfenen Klamot­ten der Revolutionen und der osteuropäischen Baracke aufeinander: Wenn Wladimir sagt, dass wir "unsere Rechte verludert haben" und hängt die um die Mitte ausgeschnittene, blasse Nationalflagge um seinen Hals, dann ist es evident, dass er auf die in die Vergan­genheit begrabene, in vieler Hinsicht unwiederbring­liche Nostalgie von 1956 verweist Mit seiner Narren­kappenkrone sieht er aus, wie ein arbeitsloser König Lear, von dem sein Land weggenommen wurde. Seine Grübeleien sind mit der Possenreisser-Philisophie eines nichtsttauglichen ehemaligen Intellektuellen durchtränkt. Neben ihm ist der sich an den Realitäten anhaftende Estragon der ewige kleine Mann: ein ego­zentrischer Trauender, der immer geschlagen wird. Am Ende, wenn ihre auf Godot wartende Geduld schon zu verschwinden scheint, setzen sie sich ein biss­chen trotzig, ein bisschen nur darum fast unter uns, vor den Vorhang. Estragon blickt provokativ auf den Himmel zu, als ob er sagte: was willst du, wie lange sollten wir noch warten, wie lange vertröstest du uns noch, wir kommen auch ohne dich aus! Die Abrech­nung mit den Illusionen ist es ein bisschen der allge­meinen Stimmung ähnlich, die uns neuerlich charak­terisiert. Die zwei zerlumpten Pennbruder, die der Frei­heit, auf die Strassenrande ausgesetzt sind - sind wir selbst Die feinsten, metaphorischen Varienten der Theateraktualität werden durch die Inszenierungen von Tamás Ascher representiert Die Darsteller in Dem Menschenfeind (Csiky-Gergely-Theater Kaposvár 1991) tragen die Kleider der Zeit der Aufführung. Das ist vieux jeu, ist schon vorher vorgekommen. Die Neuheit ist, dass Ascher die heutigen Äquivalente der Darsteller der oberen Mittelklasse des Stuckes nicht sucht, besser gesagt, es kann sein, dass er sie sucht, aber finden tut er sie nicht. Der Menschenfeind spielt sich jetzt nicht in dem snobistischen Salon von Célimene, in der Gesellschaft von kulturellen Blau­strümpfen und literarischen Louis ab, sondern auf einem Ort, wo es schon keine Spur von der sogenann­ten bürgerlichen Lebensform gibt. Genauer gesagt gibt es nur die Spur davon. Der Schauplatz ist eine hohe Mietswohnung mit vielen Türen, Zentralheizung, gebaut um die Jahrhundertwende, die einmal wahr­scheinlich abgetrennt wurde und in seinem heutigen Zustand ein ziemlich verschlamptes Bild zeigt. Die Célimene unserer Zeit gibt keine literarischen Soireen in dieser Umgebung, nicht gesellschaftliche Habitués versammeln sich für gekünsteltes Geplauder, sondern es sind Kumpane, die sie besuchen, Ihre Wohnung ist kein literarisches Boudoir, sondern ein aus Küche und Wohnzimmer schlampig eingebautes Durchgangs­haus. Statt Bücher gibt es Papierteller und Colagläser. Der Oronte unserer Zeit kommt aus der literarischen Unterwelt; er hat seine Beziehungen, so ist es egal, was für ein Dichter er ist. Er kommt hierher nicht um sein Sonett vorzulesen, sondern um zu provozieren, er ist seiner Sache sicher, so kann er getrost ruhig, sal­bungsvoll und höflich sein: er hat schon den Plan des verleumderischen Schundschreibens fertig im Kopfe, wovon wir im letzten Akt hören werden. Acaste und Clitandre kommen irgendwoher aus dem zweifel­haften Geschäftsleben, hinter ihnen eine gesichtslose Gesellschaft die Fasching oder Silvester feiern. Arsinoé ist wahrscheinlich eine Geschäftsfrau - sie bestellt ihren Wagen mit Fahrer zum Ort - sie ist voll von zynischem Wohlwollen. Philinte ist auch eine Zeitfigur: er ist bestimmt ein Journalist, wahrscheinlich Konfor­mist und regierungsfreundlich, so soll sein Benehmen in diesem Falle nicht einmal erklärt werden. Was anders kann Alceste in dieser, im Vergleich zu Moliére ihren Glanz verlorenen, armseligen Gesell­schaft sein, als der vor dem sogenannten öffentlichen Leben Ekel bekommende Intellektuelle? Er hat keine Zeitung in der Hand mehr, nicht nur deshalb, weil Ascher peinlich darauf achtet, dass nichts erkennbar zeitgenössisch ungarisches in dieser bis zu den alltäg­lichen Details zeitgenössischen Umgebung sei, son­dern wahrscheinlich deshalb, weil Alceste diese Kneipe von heute schon überschritten hat und nur Klassiker liest. Dieser Alceste ist ein esoterisches Geisteswesen, Dichter, Philosoph oder Ästhet, der seinen eigenen Elfenbeinturm hat, aber zu seinem Unglück sich in eine Sumpfblüte verliebt, zu der er mit irrationaler Leiden­schaft gezogen ist, und sie besuchend er sich in dieser fremden Umgebung mit seinen zeitlos ehrlichen Lebensprinzipien unangenehm fühlt. Er verlangt, sogar von seiner Geliebten, dass sie mit ihm aus der verunkrauteten, wuchernden, armseligen Vegetation ausziehe, in der sie lebt. Moliére, dieser namhafte Author der Weltliteratur, scheint zur Zeit der Auffüh­rung in Kaposvár klar gesehen zu haben, wie das sumpfige öffentliche Leben in unsere Privatsphere ein­dringt, wie die Demagogie der Verleumdungen, Anzeigungen, Prozesse, der Machtredner, und der, die als Kämpfer der Gerechtigkeit Angst erregen, unsere Alltage verseucht. Das gleiche Thema wird auch in der Inszenierung von Ascher in der Kammer, Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1992) herausgewickelt. Es ist kein epochales Werk, weder der originale Roman von Heinrich Boll, noch die Umarbeitung von Géza Bere­­ményi, aber beide sind Meisterwerke im fachmänni­schen Sinne des Wortes, und beide sind von einer lei­denschaftlichen, persönlichen Beziehung an das Leben geknüpft, was dem Werk über das publizistische Niveau der alltäglichen Aktualitäten auf einen höheren Grad der ästhetischen Qualität hinüberhilft. Der Regisseur ähnelt sich einem Vortragskünstler, der sich mit dem Seelenzustand des Dichters identifiziert; man fühlt, dass das Boulevard leben der von Gesetzen gere­gelten Rechtsstaatlichkeit ihn genauso irritiert, wie den Schriftsteller Böll der 70er Jahre. Hier geht es nämlich um mehr, als nur um die moralische Blossstellung eines unschuldigen Menschen, oder dass die stille, in sich kehrende Katharina, die ein unauffäliges Leben lebt, eine Kugel durch den Kopf eines ordinären Journalisten jagt. Hier wird nicht nur Katharina zur Strecke gebracht, sondern mindestens mit dem glei­chem Nachdruck der ehemalig linkgesinnte Anwalt, der zu einem eliten Bürger avanciert, und seine Frau, die die Gesellschaft in ihren Poren fühlt, die von der gegen sie geführten Hatzkampagne zutiefst erregt, sich in Plakatkommunisten und in "Rote Trude" ver­wandeln. Die zentrale Figur der "Ascher-Trilogie” (Howard Barker: Szenen einer Hinrichtung, Kaposvár, 1994), Galactia, die venezianische Renaissancemalerin, erhält einen Auftrag von der Doge, dass sie die Seeschlacht bei Lepanto auf einem übergrossen Leinen verewigen soll, als die aus dem Bund der Venezianischen Republik, Spanien und Papst Pius V. zustande gekom­mene Heilige üga einen entscheidenden Sieg über die türkische Flotte auf dem Mittelmeer erreicht hat. Statt der bestellten Siegesallegorie wird ein Tableau, das die Furcht des Gemetzels darstellt, da Galictia ein realisti­scher Maler ist. Der staatliche Mäzen lehnt wütend die der offiziellen Ideologie entgegenstehende künstleri­sche Anschauung ab, kerkert die Künstlerin unter der Klage des Verrats der Republik ein, und lasst das Thema von einem der sich anpassanden Mittelmäs­­sigen malen, der zufällig Galactias Geliebter ist. Eine Kritikerin aber, die der Macht nahe steht, erklärt der Doge, dass in der historischen Perspektive es Galactias geniales Gemälde ist, das Venedig representiert wird, und dass das Bild auch in der Gegenwart nicht gefährlich sei, weil das Publikum es sowieso nicht ver­steht. Galactia wird aus dem Kerker freigelassen, und wird sogar in die obersten Kreise eingeladen. Der zeitgenössische englische Dramatiker hat ein zeit­genössisches englisches Stück im Renaissancegewande geschrieben, das aber in Kaposvár an die heutigen ungarischen Verhältnisse erinnert. Die Doge betont in gezierter Vertrautheit, ,wie er seine Künstler mag, im Gegensatz zu dem die staatliche Ideologie vertreten­den Kardinalen, der sie amtshalber hasst, sonst wäre er für das hauptzensorischen Amt des Staatssekretärs des Volksbildungswesens nicht geeignet. Die Frage ist, was der unabhängige Künstler, im gegebenen Falle der Maler, machen kann, wenn er weder das Mitleid (für die Kirche) noch den Sieg (für den Staat) malen will. Die Antwort ist: entweder wird er verunmöglicht, oder baut sich ein. Am trockenen Ende der Inszenie­rung von Ascher trinkt sie mehrere Gläser Alkohol, bevor sie zum Schauplatz ihrer Hinrichtung, der Konformisierung losgeht. Gleichfalls in Kaposvár hat János Mohácsi mit einer ungewönlichen Expressivität Arthur Millers Hexenjagd auf die Bühne gestellt (1995). Einer seiner kühnen Züge ist, dass er die drückende, bornierte Mittelalter­­lichkeit der Grundgeschichte erweitert, ausdehnt, übergeschichtlich, und dadurch quasi zeitlos macht. Er geht nicht aus der hageren Sachlichkeit der miller-

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