Király Nina - Török Margit: PQ '95. Magyar színpad - kép - írók (Budapest, 1995)

A változás színháza 1991 - 1995

sehen Dramaturgie aus, die es leicht wäre, zu einem erbarmungslosen, wortkargen Realismus zu 'moderni­sieren”, sonder im Gegenteil, er vergrossert, theatra­­lisiert, in einem gewissen Sinne demonisiert die Geschichte, die aus einer einfachen Liebesrache in Massenhisterie, betrunkene Lynchjusitz und in Auto­­dafé ausartet. Dementsprechend ist die Hauptfigur die Masse. Die Menge, die auf den engen Treppen zwi­schen den düsteren, trüben Stadtmauern braust und tost, deren aus individuellen Gesichtern und Tönen bestehende drohende Öffentlichkeit als eine formbare Masse die aus gemeingefährlichen Ideologien konzi­pierte gemeingefährliche Erregungen gebärt. Wenn in der Verhandlungszene die Zuschauer, die aneinander gehetzt sind, die Schranken stürzen, kann uns der 'mit­telalterliche" Ritus des Heysel-Stadions (und der Stadien im allgemeinen] einfallen. Es ist keine Aktualisierung, eher als Zeichen zu verstehen, dass eine Schreib­maschine in der Aufführung gebraucht wird, oder Proctors Maschinengewehr, mit dem er die offiziellen Leute aus seinem Haus jagt. Der Regisseur widmet nämlich grosse Beachtung für das Ausgeliefertsein des Staatsbürgers. Seine grösste Tugend ist die Darstellung der Eskalation des Fanatismus. Er betrachtet das Drama als ein lebensvolles, organisches, funktionieren­des Material, das fähig ist, die verschiedensten Formen auszufüllen. Millers in Gussform erstarrtes Schauspiel benimmt sich in seiner Hand, als etwas, das aufgelötet wurde: als glühendes, brodelndes, ergiessendes Material, als Roheisen. Es gibt auch jeglicher Politik ledige Aufführungen, die die innere Kraftquellen des Theaters mobilisieren, aber ihre Bedeutung ist auch nicht kleiner. Die wichtigste Produktion des im Herbst 1993 gegründeten, und seit­dem eine Serie von Krisen erlebten Künstlertheaters ist die Dostojewski Adaptation von Dem Traum des Onkels, der von Anatolij Vassiljev inszeniert wurde Die langen Dialoge von Dostojewski überwuchern noch mehr in der Adaptation — auch Vassiljevs Arbeit -, sie saugen in sich ein Teil des epischen Materials auf. Dadurch bekommt der Schauspieler Möglichkeit für eine in der Zeit ausgedehnte Anwesenheit und für die allmählige Ausdehnung seiner Persönlichkeit in der Rolle. Die wichtigste Kategorie der Aufführung ist die innere Zeit, die ‘Anwesenheitszeit", die viel locker ge­­handhabt, als gewohnt, für das Existieren in der Rolle bestimmt ist, die den Schauspieler dazu zwingt, dass er die ihm zum Besitz der Rolle zur Verfügung stehenden Rahmen mit seiner ganzen Persönlichkeit ausfüllen soll Der psychologische Realismus funktioniert nicht im tra­ditionellen Sinne in Vassiljevs Inszenierung, es gibt keine MerkwOrter, es gibt keine Beziehungen, die sich in physischen Aktionen, Bewegungen auflösen Die Schauspieler sind in einem gewissen Sinne sich selbst überlassen (was nicht bedeutet, dass der Regisseur von ihnen nichts will, im Gegenteil, er weiss ganz genau, was er will), als Erwiderung bekommen sie unbegrenzte Freiheit, was sie für die Steigerung ihrer Intensität, für die Verinnerlichung ihrer Anwesenheit gebrauchen sollen. Das 'Présence' istjetz viel reicher, inhaltsvoller, als gewohnt. Der Schauspieler, der in der Rolle scheinbar untätig seine Zeit verbringt, entfaltet innere Vorgänge, baut aber keine Rolle, sondern stellt . I seine Persönlichkeit an den Pranger, vereinigt seine Intuition mit der zur Verfügung stehenden Situation — verewigt sozusagen sich selbst in der Rolle. Vassiljev und der Bühnenbildner Popov gebrauchen einen nackten Bühnenraum für das Spiel ohne den geringsten Anspruch auf eine.naturalistische Umwelts­schilderung. Diese Bühne kann man nicht 'in einer Rolle", in Situation betreten, die Darsteller kommen mit langen Gängen, in Zivil an (und gehen fort], während die Bühnenarbeiter die aufgereiten Tonettstühle umstellen. Die letzteren werden zu bestimmenden Faktoren der Struktur der Aufführung. Die Schauspieler packen sie manchmal auf- manchmal mit scharfen, die Szene abbrechenden Zäsuren - und nachdem sie sie auf irgendeinen anderen Punkt der Bühne stellten, setzen sie sich darauf wieder. Das geschieht mehrmals und mit scheinbarer, irrationaler Systemlosigkeit, obwohl es eine szeneorganisierende Funktion hat und die Dynamik des Spiels bestimmt. Es war die pole­mischste und entschlossenste Aufführung der letz­teren Zeit; genauso zweckbestimmt, abgeklärt, endgültig und unbequem, wie ein Tonettstuhl. Das Kunstlertheater wurde nach einem Jahr wegen Leitungs- und Finanzierungsproblemen von der Gefahr der Abstellung gedroht. Letztendlich hat es sich gege­ben, dass es mit einem neuen Intendanten und einem Teil des Ensembles seine Arbeit fortsetzen kann. Die Existenz des ständigen Ensembles und der Künstler­theater, (das Wort wird jetzt schon als Bezeichnung für Theater im allgemeinen gebraucht, die auf hohem künstlerischen Niveau arbeiten) ist in Prinzip die Sicherung der Qualität. Im Jahre 1994 ist ein neues Künstlertheater unter dem Namen 'Neues Theater" aus dem ehemaligen Arany-Jänos-Theater gegründet wor­den, das teilweise (aber nur teilweise) seine Vergan­genheit von Jugend-und Kindertheater bewahrte. Der Intendant des Neuen Theaters ist einer der hervorra­gendsten Theaterleute, Gábor Székely, der seitdem er Ende der achtziger Jahre das Katona-Jözsef-Theater verliess, als Regisseur nicht an dem ungarischen Theaterleben teilnahm. Er hat als Hochschulprofesssor zwei Regiestudenten von ihm an das Neue Theater verpflichtet. Beide haben sich mit je einer selbständi­gen und beachtenswerten Inszenierung vorgestellt. Eszter Novak hat das dichterisch-phylosophisches Werk, Csongor und Tünde (1994) von Mihály Vörösmarty, einem Dichter des vergangenen Jahrhunderts, Iván Hargitai Kleists Prinz Friedrich von Homburg (1995) auf die Bühne gestellt.. Der aus seinem freiwilligen Exil zurückgekehrte Gábor Székely fasst in Moliéres Don Juan (1995) einerseits seine Ansichten über seine moralische Beziehung zum menschlichen Sein, andererseits denkt sie weiter. Mit seiner früheren persönlichen Anwesenheit und Drama­tik verwandelt er die Abhetzung und den Kampf mit dem Material im Theater in Harmonie. Der Don Juan der Aufführung ist ein müder, verquälter, fliehender Mensch Er ist nicht mehr jung, konnte auch krank sein. Am meisten kann man die Zeichen der Nerven­erschöpfung an ihm erkennen. Wenn es um den Glauben geht, sagt er den Satz, der die frommen Seelen schon zur Moliéres Zeit und auch seitdem im­mer empört hat: 'Ich glaube daran, dass zweimal zwei vier ist, und vier und vier macht acht." Das ist der Glaube des Rationalisten und des Libertiners, der bis heute die abscheuste Sünde im Auge der von Dogmen in Schah gehaltenen Öffentlichkeit ist. Im Un-glaube von Don Juan gibt es in Wirklichkeit keine Verachtung oder Zynismus. Seine Beziehung zum Transzenden­talen berührt ihn sichtbar tief. Aber er will davon nicht reden. Sein blasses Schweigen verrät den typisch intelektuellen Krampf. Er hat auch keine Zeit nachzu­grübeln. Die von Leid gequälte, dann sich beruhi­gende Elvira, die betörten Bauernmädchen, die rach­süchtige Bruder, der nicht bezahlte Herr Dimanche, der vorwurfsvolle Vater, der Kommandant im Friedhof und am Abend des gleichen Tages als Gast - alles wie ein Amoklaufen. Die Essenz von Don Juans Leben in zwei Tagen verdichtet— im Vorzimmer des Todes Das Bühnenbild stellt die Bühne von Don Juans Leben in einem metaphorischen Raum dar. Der Lebensraum der vor sich selbst fliehenden Helden ist das Provisori­um. Dass er fortwährend auf dem Wege ist. Ein von Brettertüren umrandter schräger Landweg führt auf die Vorbühne, die mit abschiebbarer Glaswand abzu­trennen ist und dadurch das Raumerlebnis des Aus­­sens und des Innens gleichfalls zeigen kann, und die mit der abgenutzten Marmorhalle und dem geschnitzen Kirchenchor den gezweiten — realen und virtuellen — Lebensraum von Don Juan andeutet. Das Eisengerüst, das die Szene in einen einheitlichen Rah­men fasst, ist dem Verfall übergeben, der Wind klirrt manchmal die zerbrochenen Fenster und fegt dürres Laub auf die Bühne, als ob er der Bote des Todes wäre Der im Wartezimmer des Todes ringende Don Juan geht mit eisiger Leidenschaft seinen eigenen Weg. Ein Mensch, der seine Illusionen über die Welt und sich selbst verloren hat; der ausgeschopft wurde von dem ewigen Getrieb nach etwas, das Sinn hat und Erklä­rung bietet. Am Ende seines Weges kommt ein kleiner in Bronze gekleideter Mann mit matter Stimme, als Vertreter des Himmels an. Es gibt kein Donnerwetter, schweflige Versenkung und Pirotehcnik, die die Seelen in Schrecken versetzten. Die Statue des Komman­danten nimmt den Sündigen sanft in seine Arm, mit einer entschlossener Bewegung zerquetscht er seinen Stirn, und ohne seine Arm zu heben, mit der zugleich grausamen und mitleidsvoller Geste der Vergeltung und Verzeihung, drückt ihm die Augen zu. Viele werfen die Frage auf, ob man so viele Künstler­theater und so viele ständige Ensembles benötige. Es ist zu erwarten, dass die Erhalter die Theater immer mehr den Gesetzen der Marktwirtschaft aussetzen wer­den, was früher oder später zu der Auflösung der jetz­igen Struktur führt. Die Theaterszene wird in der Zu­kunft bestimmt umgezeichnet, und wird sich langsam dem westeuropäischen Modell nähern. Eventuell könnten auch kapitalreiche Unternehmen beginnen, die sich teilweise mit wirtschaftlichen Organisationen, teilweise mit einheimischen und ausländischen Privat­personen verbinden. An und für sich ist es weder gut, noch schlecht, besser gesagt die Qualität wird die neue Unternehmen bestimmen. Dieser Prozess ist von den zentralen und örtlichem Behörden mittelbar zu XIX

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