Judit Tamás: Verwandte typen im schweizerischen und Ungarischen kachelfundmaterial in der zweiten hälfte des 15. jahrhunderts (Művészettörténet - műemlékvédelem 8. Országos Műemlékvédelmi Hivatal,1995)

Übersicht - II. Medaillonkacheln - d. Hortus conclusus, Jungfrau mit Einhorn

gung und Christi Geburt auch die später zu behandelnden Drei Könige ange­hörten. Im ungarischen Kachelfundmaterial haben wir vergebens nach den Parallelen dieses Typs gesucht. Was das schweizerische Material anbelangt, käme davon le­diglich ein Bruchstück aus dem Schloß Hallwil (AG) 204 in Betracht. Die darauf abgebildete Gestalt wurde zwar als Engel interpretiert, doch in Wirklichkeit handelt es sich um die kniende, die Verkündigungsworte vernehmende Jung­frau. (Hinter ihr erkennt man tatsächlich den Flügel eines Verkündigungsen­gels.) Es ist durchaus möglich, daß diese Kachel mit dem gleichen Negativ wie die im Katalog aufgeführten gemodelt wurde. Die ganze Komposition weist allerdings eine große Ähnlichkeit mit den oben beschriebenen Marienkacheln auf. Gewisse Elemente, wie z.B. die vor der Brust verschränkten Hände der Jungfrau oder die Lämpchen im linken oberen Zwickel, sind völlig identisch, was z. T. auf eine gemeinsame Meisterhand, z. T. aber auf einen bereits mehrfach beobachteten technologischen Kunstgriff hin­weisen dürfte: auf die mannigfaltige Kombination von Modellteilen und die daraus resultierende gleichzeitige Vielfalt und Verwandtschaft der Model. d. Hortus conclusus, Jungfrau mit Einhorn Dieser Darstellungstyp ist eine eigenartige spätmittelalterliche Variation, eine Al­legorie von Maria Verkündigung, die sich auf die Physiologus-Tradition zurück­führen läßt. Im Physiologus wird nämlich beschrieben, wie man das Einhorn ge­fangen nimmt: Die Jäger führen ihm eine reine, schön geschmückte Jungfrau entgegen, deren süßer Duft das Tier anlockt. Es springt ihr in den Schoß und gerät so in ihre Gewalt, was im übertragenen Sinne die Menschwerdung Christi durch die Jungfrau bedeutet; der abgeschlossene Garten (hortus conclusus), in dem sich die Jagd nach dem Einhorn abspielt, gilt als Sinnbild der Keuschheit. Das ausgehende Mittelalter hat dann die Einhorngeschichte mit Maria Verkündi­gung verbunden. Dementsprechend erscheint der Verkündigungsengel Gabriel als Jäger gekleidet, der sein Horn bläßt, vier Hunde an der Leine führt und das Einhorn in den Garten hineintreibt. 205 Er wird aber nicht mehr auf derselben Kachel, sondern auf ihrem jeweiligen Paarstück dargestellt. Von den drei typologischen Varianten der Jungfraukacheln, die wir im schwei­zerischen Fundmaterial absondern konnten, waren zwei (A-B; Abb. 107-108) mit Ausnahme der Zwickelverzierung identisch. Die Größe der wenigen Details, die bei A überhaupt meßbar waren, stimmt mit der von B überein, der winzige Un­terschied des Reliefs schließt jedoch die Modellierung beider Varianten mit der gleichen Preßform aus. Wohl wurden auch in diesem Fall die zwei Negative aus verschiedenen Teilmodellen zusammengestellt, wobei man für das Zentralmotiv identische, zur Zwickelverzierung aber unterschiedliche Elemente verwendete. Für eine Verbindung solcher Art sprechen weiterhin erstens die ansehnliche Ent­fernung zwischen den Fundorten (Wädenswil, ZH, bzw. Untervaz, GR) und zwei­tens die in der zürcherischen Gruppe der Medaillonkacheln völlig unbekannte Form des hinteren Teiles mancher Untervazer Kacheln. Die äußerst verschwom­menen Umrisse letztgenannter, die diesmal nicht der stumpfmachenden Wirkung der Engobe beigemessen werden können, deuten immerhin auf einen abgenutzten/verschmutzten Model hin. Ein ähnliches technologisches Verfahren läßt sich an einer grünglasierten, quadratischen Blattkachel, gefunden im St. Annakloster in Wyden, im ehemali­gen Schwesternhaus von Jona (SG), ablesen, deren Hauptverzierung (Medaillon,

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