Karl Alfred von Zittel: Handbuch der Palaeontologie. 1. Abtheilung, Paleozoologie. IV. Band: Vertebrata (Mammalia) (München und Leipzig, 1891-1893)
5. Classe. Mammalia. Säugethiere - Gebiss
Mammalia. Säugethiere. 45 Nach den zwei letzteren Auffassungen würde demnach das monophyodonte Gebiss den ursprünglichen, das diphyodonte einen später erworbenen, specialisirten Zustand darstellen. Der paläontologische Nachweis, dass diphyodonten Säugethieren fossile Ahnen mit monophyodontem Gebiss vorausgehen, ist bis jetzt nicht geglückt, wohl aber lässt sich sowohl an fossilen als an lebenden Formen der allmählige Verlust einzelner oder sämmtlicher Milchzähne und somit die Entstehung eines monophyodonten Gebisses aus einem diphyodonten deutlich ver-/ folgen. Bei vielen fossilen Proboscidiern (Dinotherium , Mastodon , ja sogar bei einigen Elephanten) werden nicht nur die Schneidezähne, sondern auch die Backzähne des Milchgebisses durch Ersatzzähne verdrängt, während dies bei lebenden Elephanten nicht mehr geschieht. Auch bei Nagern, Insektenfressern, Fledermäusen und Robben befindet sich der Zahnwechsel sichtlich im Rückgang. Er geht bei vielen lebenden Formen schon vor der Geburt vor sich, so dass die Michzähne überhaupt nicht zur Funktion gelangen; bei anderen Vertretern derselben Ordnungen und namentlich bei fossilen werden die Milchzähne ziemlich spät und in normaler Weise durch das Dauergebiss ersetzt. Unter den Edentaten besitzen nur noch zwei Gattungen (Tatusia und Orycteropus) functionirende Milchzähne, alle übrigen sind monophyodont. Da nun überdies das Milchgebiss von Hufthieren nicht selten, wie Rütimeyer gezeigt, Merkmale von phyletisch älteren Vorläufern bewahrt, die im definitiven Gebiss verloren gehen, und in der Regel eine vollständige aber verkleinerte Ausgabe des letzteren darstellt, so erscheint es angezeigter, das diphyodonte Gebiss als das ursprüngliche, das monophyodonte als eine durch Verkümmerung der Milchzähne entstandene Rückbildung zu betrachten. Eine schwerwiegende Unterstützung findet diese Auffassung in der Beobachtung Kükenthals, dass auch bei den monophyodonten Cetaceen öfters Milchzähne angelegt erscheinen, jedoch nicht zur vollen Entwickelung gelangen. Auffallend bleibt allerdings der Umstand, dass eine so primitive Gruppe von Säugethieren, wie die Beutelthiere, nur einen einzigen Milchbackzahn wechseln und dass diese Eigenthümlichkeit wahrscheinlich schon den jurassischen Vorläufern derselben zukommt. Die Zahl der Zähne ist bei monophyodonten Säugern höchst variabel und an keine Gesetzmässigkeit gebunden. Bei den Diphyodonten sind nicht nur die beiden Kieferhälften symmetrisch bezahnt, sondern es herrscht auch eine bestimmte Regel in der Zahl und Vertheilung der verschiedenen Zähne. So nimmt O. Thomas für die Marsupi alier als typische Zahnformel des definitiven Gebisses 5 J, IC, 4 P und 5 M jederseits oben und unten an; aus diesem primitiven