Manfred Fink (Hrsg.): Das Archiv der Republik und seine Bestände. Teil 1 : Das Schriftgut der 1. Republik und aus der Zeit von 1938 bis 1945 (1996)

Einleitung

Registraturen der österreichischen Verwaltung bemüht waren, kann das "Registra­turbild" nicht nur von Ministerium zu Ministerium, sondern auch innerhalb einer einzigen Aktenprovenienz erheblich variieren. Diese Unterschiede sind für den Außenstehenden nicht immer unmittelbar sichtbar und für seine praktische Arbeit auch kaum von Bedeutung, können aber mitunter die Aktenrecherchen erheblich erschweren und verzögern. Der Grund für das Eigenleben der einzelnen Bestände liegt darin, daß trotz einheitlicher Regelungen die Aktenhinterlegung bei den aktenproduzierenden Stellen in erster Linie mit Blick auf den laufenden Geschäfts­verkehr und nicht auf die Verwahrung im Österreichischen Staatsarchiv erfolgte. So standen die Bedürfnisse, Erfordernisse und überlieferten Gewohnheiten einer "akti­ven" Institution immer höher als archivtechnische Rücksichten. Archive: gestern und heute Archive werden immer wieder als das Gedächtnis eines Staates oder einer Gemein­schaft bezeichnet. Diese Metapher bringt jedoch nur eine eingeengte, aus der Tradition des 19. Jahrhunderts gewachsene Bedeutung von Archiven zum Ausdruck. Jeder Monarch, aufgeklärt oder absolut, würde diese institutionelle Funktion nicht grundsätzlich in Frage stellen. Trotzdem, der Zugang zu den Archiven des 19. Jahrhunderts war nur einem auserlesenen Personenkreis möglich. Und sicher standen auch für diese auserwählten Benützer nicht alle im Archiv verwahrten Dokumente zur Einsicht zur Verfügung. Es war die Zeit der "geheimen" Archive, in denen nicht zuletzt der Archivar als Schatzhüter das Privileg der Aktenvorlage für sich beanspruchte. Für einen nicht näher bestimmten Personenkreis öffneten sich die staatlichen Archive jedoch erst langsam in diesem Jahrhundert. Viele Elemente der einstigen "geheimen" Archive wirken jedoch hartnäckig bis in die Gegenwart nach. Die willkürliche Aktenvorlage durch Archivare ist auch heute noch einer der Vorwürfe (oder Mißverständnisse) der Öffentlichkeit gegenüber Archiven. Ein Vorurteil, dem wir nur durch Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz begegnen können. Denn heutzu­tage steht es jedem, ohne Rücksicht auf die Person, Beruf und Ansehen frei, in Archivalien der österreichischen Verwaltung einzusehen. Die Archive finden sich sei t den 80er J ahren dieses J ahrhunderts in einer vollkommen geänderten Situation wieder. Sie können heute einfach nicht mehr willkürlich darüber bestimmen, welche Archivalien wem zugänglich gemacht werden. Die Öffentlichkeit fordert vielmehr das Recht auf Begründung ein, warum bestimmte Akten nicht zur Einsicht zur Verfügung gestellt werden. Archivgesetze, die in vielen unserer Nachbarländern in Kraft traten, bemühten sich um die Definition und Lösung dieser Ansprüche. Ein Archivgesetz gibt es in Österreich derzeit nicht. Die Bestimmungen, die die Archivtätigkeit und damit auch die Zugänglichkeit des Archivs der Republik durch die Öffentlichkeit regeln, basieren auf verschiedenen Erlässen, Verordnungen und XXIII

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