Manfred Fink (Hrsg.): Das Archiv der Republik und seine Bestände. Teil 1 : Das Schriftgut der 1. Republik und aus der Zeit von 1938 bis 1945 (1996)
Einleitung
Wer die Zeichen der Zeit für eine Reorganisation des österreichischen staatlichen Archivwesens nicht als dringend notwendig erkannte, war entweder blind oder machte sich am Verlust weiteren historisch wertvollen Aktenschriftgutes mitschuldig. Oder er war einäugig, weil ihm zwar die unbestritten kostbaren Archivalien des Mittelalters und der Neuzeit, nicht aber die Dokumente zur Erforschung der Zeitgeschichte am Herzen lagen. Die Entscheidung zur Gründung eines zeitgenössischen "Archivs der Republik" war also mit der Errichtung eines Neubaues eng oder vielmehr untrennbar miteinander verknüpft. Es galt, das verlorene Vertrauen der Verwaltung sowie der Öffentlichkeit wiederzugewinnen. Die Aufgaben des Archivs der Republik Was ist nun dieses Archiv der Republik? Wie seine Bezeichnung bereits zum Ausdruck bringt, ist es für die Verwahrung, Erschließung und Betreuung des Schriftgutes der zentralen Bundesbehörden der beiden Republiken zuständig. Da es offensichtlich keine Regel(ung) ohne Ausnahmen gibt, trifft dies auch für dieses Archiv zu. Wo eine Trennung des Aktenschriftgutes mit dem Jahr 1918 nicht möglich war, weil dieses registraturtechnisch über einen längeren Zeitraum mit Akten der Monarchie nahezu untrennbar verbunden ist, wurde über den tatsächlichen Verbleib im Einzelfall entschieden. Der aufmerksame Leser dieser Publikation wird sofort bemerken, daß das Archiv der Republik beispielsweise über keine Unterlagen der 1. Republik in den Bereichen Unterricht, Wissenschaft, Forschung (Bestandsgruppe 02) und Justiz (Bestandsgruppe 04) verfügt. In beiden Fällen hätte eine Trennung der Bestände in Monarchie und 1. Republik erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Da dieses Archivgut nach wie vor vom Allgemeinen Verwaltungsarchiv betreut wird und sich dieses im gleichen Gebäude befindet, erwachsen für den Archivbesucher aus dieser Regelung keinerlei Nachteile. Weitere organisatorische Unschärfen ergaben sich auch im Bereich Verkehr (Bestandsgruppe 10). Hier wurde nach Auflösung des Verkehrsarchivs eine Urkundenreihe, die sogar bis zum Jahr 1867 zurückreicht, in das Archiv der Republik übernommen. Ebenfalls aus dem engen organisatorischen Rahmen fallen jene Bestände, die aus der Zeit von 1938 bis 1945 datieren. Dieses Schriftgut wurde, sofeme es nichtmilitärischer Herkunft war, den einzelnen Bestandsgruppen sachgemäß zugeteilt. Die Bestände der Deutschen Wehrmacht hingegen bilden eine eigene Bestandsgruppe (Gruppe 08). Die historische Betreuung der Schriftgutbestände ist nur eine von vielen Aufgaben der Mitarbeiterinnen des Archivs der Republik. Von nicht geringerer Bedeutung sind die laufenden Übernahmen von archivreifem Schriftgut aus den aktenproduzierenden Stellen und die damit verbundenen Aufgaben. Mehr als vier Kilometer Akten wurden in den vergangenen fünf Jahren jährlich an das Archiv der Republik XXI