Manfred Fink (Hrsg.): Das Archiv der Republik und seine Bestände. Teil 1 : Das Schriftgut der 1. Republik und aus der Zeit von 1938 bis 1945 (1996)

Einleitung

Mitarbeiterinnen schlichtweg unzumutbar waren. Vollgepfropft bis auf den letzten Winkel, entweder zu feucht oder zu heiß, unzureichend beleuchtet und mit keinerlei Sicherheitseinrichtungen ausgestattet, konnten in die Speicher auch keine archivrei­fen Akten mehr aus den Ministerien übernommen und somit für die historische Forschung gesichert werden. "Wir bedauern, kein Platz mehr." oder "Vielleicht in ein paar Jahren." waren die Standardausflüchte der Archive bei Aktenangeboten der Ministerien. Die Auswir­kungen waren logischerweise verheerend: Die Registraturen und Kanzleien bei den aktenproduzierenden Stellen, in der Regel selbst unter akuter Raumnot leidend, griffen zur Selbsthilfe, indem sie oft wahllos ihr Aktenschriftgut dezimierten oder auch vollständig vernichteten. So konnte wohl das Problem der Massenschriftgut­verwaltung in Zukunft nicht gelöst werden. In einigen Aktenbeständen der 2. Republik sind diese irreparablen Schäden für die historische Forschung besonders schmerzlich. Nicht entwickeltes, mangelndes oder überhaupt nicht vorhandenes Verständnis um die Bedeutung der Archive haben in der Vergangenheit viele Schriftgutbestände in den Kellern der Ministerien verrotten lassen oder wurden ohne Wissen des Archivs vernichtet. Die Umstände, wie so mancher Bestand in den 60er und 70er Jahren doch noch seinen Weg in die Depots des Österreichischen Staatsarchivs fand, waren manchmal abenteuerlich und können oftmals nicht mehr rekonstruiert werden. Eine Legende erzählt sogar von einer geheimnisvollen Nacht-und Nebelaktion: So fanden die Archivare eines frühen Morgens vor dem Tor ihres Archivs auf dem Gehsteig einen Berg Aktenfaszikel vor. Bis heute ist ungeklärt, wer in der Nacht die heimliche Liebe zum Archiv entdeckte. Ich weiß nicht, ob diese Geschichte der Wahrheit entspricht. Wenn nicht, dann ist sie zumindest gut erfunden, weil sie das Verhältnis zwischen Verwaltung und Archiv in der Vergangenheit bestens beschreibt. Keine Legende ist hingegen ein geheimnisvoller Fund, von dem das Archiv der Republik 1987 vom Burghauptmann benachrichtigt wurde. Bei Umbauarbeiten in der Hof­burgwurde durch Vermessung eines Raumes eine Zwischenwand entdeckt. Dahinter waren hunderte Faszikel regelrecht "eingemauert" und versteckt worden. Verständlich werden diese oftmals wilden, manchmal verzweifelten Aktionen aus historischer Sicht allemal. Da war einerseits die aus der Verkrampfung und der existentiellen Furcht der ersten Nachkriegsjahre erwachsene Haltung, die Akten lagerten in den Kellern der Ministerien "sicherer" und somit für die Öffentlichkeit unzugänglicher als in den Speichern des Österreichischen Staatsarchivs. Das gestörte Verhältnis zur erlebten Vergangenheit drückte sich nicht zuletzt in einer angstvollen Beziehungslosigkeit zum Schriftgut aus. Dazu kam noch, daß während der Zeit des Wiederaufbaues, aber auch noch in die 60er Jahre hinein, die Archive eine gesellschaftlich kaum beachtete Rolle spielten. Erst der massive Vorstoß der zeitgeschichtlichen Forschung in den 70er Jahren und deren Interesse an "modernen" Akten weckte wiederum das historische Bewußtsein der Verwaltung. xx

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