Puskás Attila (szerk.): A Szent Titok vonzásában. A hetvenéves Fila Béla köszöntése - Studia Theologica Budapestinensia 32. (2003)

Fehér M. István: Pietismus und Hermeneutik

72 Fehér M. István Angesichts der Präsenz pietistischer Züge in der Position Kants genüge es, als Beleg einige Passagen zu zitieren aus August Hermann Franckes Schrift Einfältiger Unterricht, wie man die Heilige Schrift %u seiner Erbauung lesen solle. „Wenn ein Einfältiger zu seiner Erbauung in Gott die Heilige Schrift Alten und Neuen Testamentes lesen will, so muß er 1. sich mit allem Fleiß davor hüten, daß er nicht etwa einen heimlichen falschen Grund in seinem Herzen habe oder irgend einen Unrechten Zweck, warum er die Heilige Schrift lese.“ „Ein falscher Grund aber und Unrechter Zweck ist es, wenn man die Heilige Schrift liest entweder zum bloßen Zeitvertreib, und weil hier und da einige Historien darin sind [...]; oder, wenn man das Lesen der Heiligen Schrift als ein bloß äußerliches Werk treibt, gleichsam voraussetzt, daß man schon gar fest in seinem Christentum stehe, und als Überfluß die Gewohnheit früh und abends hält, das eine oder andere Kapitel zu lesen, und meint dann, man habe dadurch dem lieben Gott ein sonderlich gutes Werk dargelegt Aber ein nicht weniger falscher Grund und Unrechter Zweck ist es schließlich für Francke, daß man „Schriftgelehrt werde und vieles Wissen erlange“.10 „Das Gebet und die Betrachtung müssen einander stets die Hand bieten,“11 so heißt die Konklusion. Was in Franckes Text in polemischem Abstand als „bloßer Zeitvertreib“ bezeichnet und als solcher zugleich abgelehnt wird, ebenso wie die verharmloste „Historien“ und die zum Selbstzweck gewordene „Schriftgelehrsamkeit“, dafür stehen bei Gadamer Begriffe wie ästhetisches Bewußtsein, die Objektivitätssuche oder vielmehr Objektivitätssucht der modernen Wissenschaft inklusiv des nach seinem Selbstverständnis ihr gegenübertretenden Historismus Diltheyscher Prägung. Denn der Historismus, der nur erkunden, herausfinden, ermitteln will, geleitet von der Objektivität rein wissenschaftlichen Interesses, wie es eigentlich geschah, und sich nicht selbst ins Spiel bringt, stellt bereits eine Entfremdung von der Tradition dar. „Die erbauliche Anwendung“, so betont Gadamer, „die etwa der Heiligen Schrift in der christlichen Verkündigung und Predigt zuteil wird“, ist ja „etwas ganz anderes als das historische und theologische Verständnis desselben.“12 Gadamers Rückgriff auf die pietistische Hermeneutik versteht sich als Versuch, eine in Vergessen geratene Tradition wieder zu beleben, denn sie gilt ihm als exemplarisch sowohl entgegen der aufklärerischen Herausdrängung der applicatio als auch der romantischen und historistischen Versuche, die Geisteswissenschaften am Vorbild der Naturwissenschaften zum Rang der Wissenschaft zu erheben. Ja, man könnte sogar die These vertreten — es wäre keine allzu groß Übertreibung zu sagen —, daß Gadamers Kritik der Methode 10 FRANCKE, A. H. Hinfälliger Unterricht, wie man die Heilige Schrift sçu seiner Erbauung lesen solle (Kleine Texte der Franckeschen Stiftungen 2), Flalle 1995, 1. 11 Ebd., 4. 12 GW, Bd. 1, 313.

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