Puskás Attila (szerk.): A Szent Titok vonzásában. A hetvenéves Fila Béla köszöntése - Studia Theologica Budapestinensia 32. (2003)
Fehér M. István: Pietismus und Hermeneutik
Fehér M. István 73 bzw. seine Trennung von Wahrheit und Methode, die im Titel seines Hauptwerks angezeigt wird und das ganze Werk charakterisiert, pietistische Untertöne hat. In der Tat meint Gadamer, applicatio ist dem jeweiligen Verständnis nicht nur nachträglich und sekundär, sondern bildet sogar dessen Wesen aus. Verstehen ist, was es ist, nur im Wissen, woran es mit einem ist, sagte Heidegger;13 und das immer schon auf sich selbt, auf die eigene Positon, Anwenden oder Angewandthaben ist dem Verstehen aus Gadamers Sicht ebensowenig nebensächlich. Hier meint Gadamer, über den Pietismus hinauszugehen. Denn der Pietismus sei nicht radikal genug gewesen, indem er die applicatio als gesondertes Glied des Verstehensvorgang; angesehen hatte. „Nun haben uns unsere Überlegungen zu der Einsicht geführt, daß im Verstehen immmer so etwas wie eine Anwendung des zu verstehenden Textes auf die gegenwärtige Situation des Interpreten stattfindet. Wir werden also gleichsam einen Schritt über die romantische Hermeneutik hinausgenötigt, indem wir nicht nur Verstehen und Auslegen, sondern dazu auch Anwenden als in einem einheitlichen Vorgang begriffen denken. Wir kehren damit nicht etwa zu der traditionellen Unterschied der drei gesonderten ‘Subtilitäten’ zurück, von denen der Pietismus sprach. Denn wir meinen im Gegenteil, daß Anwendung ein ebenso integrierender Bestandteil des hermeneutischen Vorgang ist wie Verstehen und Auslegen.“14 Gemäß dem eben Gesagen ist es offenbar, daß applicatio einen viel umfassenderen Sinn bei Gadamer gewinnt. Doch eines ziwschen ihm und dem Pietismus gemeinsam: die Betonung des affektiv-applikativen Elementes des Verstehens, das in der epistemologischen Hermeneutik des 19. Jahrhunderts verschwand, weil es als Gefährdung der Objektivität erschien (Dilthey). Gadamer zufolge war dies der pietistischen Hermeneutik noch klar, deshalb müssen wir daran anschließen und sie zu radikalisieren versuchen. Ehe ich auf Kant zurückkomme, ist es nicht uninteressant zu erwähnen, daß das Pietistische Gadamer irgendwie von Haus aus nahe war. Gadamers Mutter war „offenbar sehr religiös und pietistisch veranlag“, lesen wir in der Gadamer- Biogaphie von Jean Grondin.15 „In ihrem Nachlaß rage insbesondere das pietistische Buch des Freiherrn Ernst von Feuchtersieben, Zur Diätetik der Seele, hervor, in das der Name seiner Mutter mit goldenen Buchstaben gedruckt war. [...] In einem Zeitalter, in dem der Protestantismus von allgemeiner Sprödheit gekennzeichnet war, kultivierte der Pietismus des Freiherrn von Feuchtersieben 13 Sein und Zeit, § 31. (Tübingen 1979, 144.). 14 GW, Bd. 1, 313. Siehe noch ebd., 314: „Verstehen ist hier immer schon Anwenden.“ GW 1, 329: „die Anwendung [ist] nicht ein nachträglicher und gelegentlicher Teil des Verstehensphänomens, sondern es [bestimmt] es von vornherein und im ganzen mit [...]“; ferner ebd., 320, 327, 15 GRONDIN, J., Hans-Georg Gadamer. Eine Biographie, Mohr Siebeck, Tübingen 1999, 19.