Gudrun Bohle: Die Frage der Läuterung im Alten Testament - Studia Theologica Budapestinensia 20. (1998)
II. - II.1. Jesaja 6,1-11
Natürlich muß berücksichtigt werden, daß es sich bei dem Text um die Schilderung einer Vision handelt und es daher nicht ausdrücklich festgehalten ist, daß sich Jesaja zu diesem Zeitpunkt tatsächlich im Tempel aufhielt oder gar dort Dienst tat. Aber die Kenntnis und die Erwähnung dieser Elemente sprechen mindestens dafür, daß Jesaja von diesem geistigen Hintergrund her denkt und schreibt. Über diese äußeren Anknüpfungspunkte hinaus findet sich in diesem Textabschnitt noch mehr Vokabular, das aus dem kultischen Kontext genommen ist: V.3: der hymnische Ruf der Seraphen: ÍT1K3S HTTP Pip EHp tfip Heilig, heilig, heilig, Jahwe Zebaoth. V.5: KCÎ2 unrein Auch die Formulierung von v 6f.. erinnert an einen kultischen Akt. Ein wirkliches Äquivalent kann aber in dem uns überlieferten Kult von Jerusalem nicht ausgemacht werden.36 Von großer Bedeutung für den kultischen Kontext ist die Vokabel "1C3 (v.7). Eine eindeutige Tradition, die dieses Verb in einer festgefaßten Wendung benützt, ist erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich in der Zeit der Priesterschrift nachweisbar37. Dort wird “ICJ in der pi-Form verwendet38. Hier in Jesaja steht aber die pu-Form. Man wird nicht daran vorbeikommen, hier einen kultischen Hintergrund für Jesaja anzunehmen. Schwieriger aber ist es, diesen 36 vgl. H.Wildberger, BK. X/l, 1972, S. 252: “Man möchte annehmen, daß im Jerusalemer Tempel Sühnehandlungen vorgenommen wurden, bei denen glühende Kohlen vom Räucheraltar zur Übermittlung reinigender Kraft eine Rolle spielten. Leider wissen wir darüber nichts. ” und: B.Janowski, Sühne als Heilsgeschehen, 1982, S.129: “Die Entsühnung Jesajas mit einer dem (geschauten) Altar entnommenen Glühkohle ( HCSI) läßt sich weder dem verwendeten Sühnemittel noch der Struktur des Vorgangs nach herkömmlichen kultischen Reinigungszeremonien zuordnen.” 37 vgl. dazu die ausführliche Abhandlung von B.Janowski, Sühne als Heilsgeschehen, 1982, zur Wurzel KPR, wo er einen Teil für die Vorkommen außerhalb der Priesterschrift und der ihr nahestehenden Literatur widmet (S. 103- 182, so auch der Stelle Jes 6,7 — S. 123ff), und einen Teil der Priesterschrift, dem Verfassungsentwurf des Ezechiel und dem chronistischen Geschichtswerk (S. 183-276). vgl. B.Lang, Art. ICO , in: THWAT IV. 3/4. 38 vgl. unten II.4.5.7. 36