Gudrun Bohle: Die Frage der Läuterung im Alten Testament - Studia Theologica Budapestinensia 20. (1998)
II. - II.1. Jesaja 6,1-11
Denkschrift dem Propheten selbst zugesprochen wird, geht man üblicherweise davon aus, daß der Prophet Jesaja hier seine eigene Vision und Erfahrung mitteilt. Es gibt nur bisweilen Rätsel auf, warum Kap. 7. (im Gegensatz zu Kap. 8., das wieder in der 1.Person fortfährt) plötzlich vom Propheten in der 3. Person spricht. Dies hat O. Kaiser unter anderem dazu geführt anzunehmen, daß Kap. 7. ursprünglicher sei als Kap.69. Die Erzählungen in der 1. Person seien zwar "Selbstberichte", diese seien jedoch nur als Stilmittel verwendet, um “eine fiktive Rückversetzung in die Zeit Jesajas" zu erreichen - und zwar aus der Perspektive der “die Katastrophe von 587 überlebenden Generationen"10. Ich halte die dafür angegebenen Gründe nicht für zwingend. Auch wenn wir davon ausgehen, daß der Prophet selber von seinem Gotteserlebnis spricht, müssen wir damit rechnen, daß es keine unmittelbare Schilderung ist11. Im Alten Testament werden gerne vorgegebene Formen verwendet. Der Prophet verwendet diese Formen (bzw. hier sogar ein Berufungs-"formular"), weil er in seinem Bericht nicht etwas über sich selbst und “seine inneren, seelischen Erlebnisse"12 sagen will, sondern über Gott und dessen Wirken in der Geschichte durch den Propheten13 14. Er ordnet sich hiermit ein in eine Reihe von Gottesmännern, von denen die Tradition weiß, daß sie Gott in besonderer Weise begegnet sind. Weiters muß man davon ausgehen, daß Jes. 6. (zusammen mit der Denkschrift) erst "nach den Ereignissen von 733/32"14 schriftlich fixiert wurde; das bedeutet: "Die Niederschrift und das berichtete Ereignis liegen um einige Jahre auseinander"15. Die Tatsache, daß Jesaja die Majestät Gottes so eindringlich erfahren hat, deutet darauf hin, daß der Bericht sehr zuverlässig ist. 9 O.Kaiser, ATD 17, 51981. 10 ebd., S. 118. 11 vgl. B.O.Long, Art. “Berufung”, in: TRE V., besonders Sp. 678-681. 12 H.Wildberger, BK, S. 238 (nach H.Schmidt.) 13 E.Jenni, Jesajas Berufung in der neueren Forschung, 1959, S.328f.: "In Jes 6 steht nicht der Bios oder das innere Erleben des Propheten im Mittelpunkt, sondern der Nachweis, daß die aller menschlichen Erwartung ins Gesicht schlagende Gerichtsverkündigung Auftrag Jahwes ist. ” 14 H. Wildberger, BK, S.241 15 Ch.Hardmeier, Jesajas Verkündigungsabsicht, S. 238. 31