Christian Kuhn: Die theologische Begründung des Kirchenrechts - Studia Theologica Budapestinensia 2. (1991)

1. Einleitung

Selbst dort, wo die Vorschriften des kanonischen Rechts befolgt wer­den, bleibt die Frage, ob dies aus persönlicher innerer Einstellung ge­schieht. Oft wird das Recht als ein Hindernis in der pastoralen Arbeit empfunden. Die Untersuchungen von G. LE BRAS haben eine Ineffektivität des kirchlichen Rechts im Leben der Gläubigen aufgezeigt und die starken antijuridischen Strömungen in der Kirche nachgewiesen (6). Manche Autoren sprechen sogar von einem „guerre sainte au juridisme" (7) und beklagen, daß „depuis une dizaine d'années, on dénoncé le juri­disme comme étant une des causes majeures des maux et de la désaf­(Q) J fection dont souffre l'église" . Fasziniert vom biblischen Wort vom Geist, der weht, wo er will (Joh 3,8), wird im Recht nicht selten ein Element gesehen, das diese Entfal­tung einengt oder gar verhindern könnte. Man meint dann, das Recht beenge den Menschen oder beschränke seine Freiheit— Auffassun­gen, die in vielen Fällen von in der Pastoral stehenden und um den konkreten Menschen mit seinen Sorgen und Nöten bemühten Chris­ten, respektive Seelsorgern kommen. Die Meinung, daß das Recht (als Ausfluß von Macht, wie es dann vor­nehmlich gesehen wird) mit dem Wesen der Kirche grundsätzlich un­vereinbar sei, ist freilich im Lauf der Kirchengeschichte verschiedener- seits schon früher vertreten worden. Eine ähnliche Auffassung vertrat etwa schon im Mittelalter MARSILIUS VON PADUA mit seinen kon- ziliaristischen Schriften (Defensor pacis, 1324); in zugespitzter Weise und eine bis ins Heute andauernde Diskussion auslösend <10) wurde sie um die vergangene Jahrhundertwende von R. SOHM vertreten. Nach ihm ist das Wesen der Kirche geistlich, das Wesen des Rechts aber weltlich. Daraus ergibt sich für ihn eine wesentliche Unvereinbar­keit zwischen den beiden. „Das Wesen des Kirchenrechts steht mit dem Wesen der Kirche im Widerspruch", sagt SOHM ausdrücklich Auf diese Weise wird eine Antithese zwischen Evangelium und Recht aufgestellt*12*, das Recht als etwas der Liebe Konträres oder als Ver­drängung des Geistes erachtet. Diese Position sowie freilich auch jene, die das Recht ausschließlich mit dem gesellschaftlichen Charakter der Kirche verbindet und als von da her begründet sieht, es somit - vom 10

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